Die Frauen von Clare Valley
verabschiedet. Nicht weil das Treffen unerfreulich verlaufen war und sie von der ganzen Jammerei Kopfschmerzen bekam. Sondern weil sie dringend an den Computer wollte. Zwei Tage lang hatte sie keine E-Mails checken können. Sie wurde unruhig.
Nun aber öffnete sie mit dem vertrauten Kribbeln im Bauch ihr E-Mail-Account. Vier neue E-Mails, keine Spams! Rasch überflog sie die Nachrichten, und ihr Lächeln wurde immer breiter. Es waren alles Reaktionen auf ihren Weihnachts-Köder! Nein, Köder war kein schöner Ausdruck, wie war sie denn darauf verfallen? Ihr ganz besonderes Weihnachtsangebot, das klang schon viel netter. Mrs Kernaghan und ihre unfassbare Schaufenstergestaltung waren im Nu vergessen. Nun hatte sie endlich etwas, was sie planen, worauf sie sich freuen konnte.
Schnell druckte sie alle E-Mails aus. So sehr Lola den Computer liebte, eine Information fühlte sich für sie erst real an, wenn sie auf Papier stand. Sie las die Nachrichten nun gründlicher und stellte mit noch größerer Freude fest, dass ihre Gäste aus allen Teilen des Landes kamen. Ein gewisser Neil aus Broken Hill in New South Wales. Ein Paar namens Helen und Tony aus einem Ort in Victoria – das würde sie sich später auf Google Maps anschauen. Eine Martha aus Melbourne. Und eine dreiköpfige Familie aus Adelaide, eine Erwachsene und zwei Kinder. Insgesamt sieben Personen, die perfekte Zahl. Damit kam sie spielend zurecht.
Zügig beantwortete sie alle vier E-Mails.
Was für wunderbare Neuigkeiten! Ich gratuliere nochmals zu Ihrer Wahl und Ihrem glücklichen Händchen. Ich melde mich im Laufe der Woche erneut, um Ihnen nähere Einzelheiten mitzuteilen.
Sie setzte ihre eingescannte Unterschrift und ein kleines Smiley darunter – sie liebte Emoticons – und schickte die E-Mails ab. Dann löschte sie die automatische Antwortfunktion ihrer Online-Anzeige und entfernte sicherheitshalber, damit sie nicht noch weitere Gäste anlockte, auch gleich die Anzeige. Sie schaute auf die Uhr. Mist! In zehn Minuten kamen Joan, um den Dienst im Laden anzutreten, und Luke, um sie nach Hause ins Motel zu fahren. Doch für eine E-Mail blieb noch Zeit. Eine wichtige, an Ellen in Hongkong. Lola hatte auf ihre letzte E-Mail noch keine Antwort erhalten. Da stimmte etwas nicht. Sie überlegte, wie spät es in Hongkong war. Aber eigentlich spielte es keine Rolle, ob Ellen in der Schule oder zu Hause war. Soweit Lola wusste, war ihre Urenkelin mit ihrem Smartphone verwachsen oder vielmehr verbunden. Hoffentlich las sie die E-Mail, wo sie auch gerade war. Luke hatte versucht, Lola zu etwas zu bereden, das er »Gee-mail« nannte, doch Lola war das Förmliche einer E-Mail lieber. Außerdem hatten E-Mails einen weiteren Vorteil: Ellen musste sich an die Tugend der Rechtschreibung halten. Diese ganze Abkürzerei war bei Lola tabu.
Ich höre gar nichts mehr von dir. Was ist denn los, Darling? Lola klickte auf »Senden« und wartete. Eine Minute später war die Antwort da.
Nichts.
Lola schrieb rasch zurück – Lügnerin! – und klickte erneut auf »Senden«.
Nenn mich nicht Lügnerin.
Ich glaube aber, dass du lügst, also nenne ich dich so. Was ist denn los, meine Ellie?
Nichts. Wie kommst du darauf?
Lola tippte, so schnell sie konnte. Weil deine letzten E-Mails entweder nicht existent oder furchtbar langweilig waren, also folgere ich, dass du entweder langweilig geworden bist – und in dem Fall hoffe ich, dass meine anderen Urenkel schnell älter werden und etwas zu meiner Unterhaltung beitragen – oder du unglücklich bist und all deine Energie in deine Gefühle geht, anstatt in amüsante E-Mails.
Lola wartete mehrere Minuten, doch es kam keine Antwort. Sie tippte eilig. Darling? Alles in Ordnung mit dir?
Eine Minute später kam die E-Mail. Ich versuch, dir was Lustiges zu schreiben, doch das geht nicht. Ich bin zu unglücklich.
Lola zögerte nicht. Sie wählte Ellens Nummer. »Darling, was ist los?«
»Nichts. Alles. Ich halt’s hier nicht mehr aus.« Ellen klang sehr jung und unglücklich.
»Wieso?«
»Dad.«
»Hungert er dich wieder aus? Verprügelt er dich wieder?«
»Das ist nicht komisch, Lola. Außerdem ist sie es, nicht er.«
»Sie?«
»Dads Freundin.«
»Sie hungert dich aus und verprügelt dich?«
»Er will, dass wir Weihnachten mit ihr und ihrer Tochter feiern. In irgendeinem großen Haus auf irgendeiner Insel hier irgendwo.«
Aha, dachte Lola. Die Beziehung wurde ernst. Doch bevor sie etwas erwidern konnte, sprudelte Ellen
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