Die Frauen von Clare Valley
»Warum gehst du nicht zu deiner Mutter?«
»Warum? Du weißt doch, dass sie während der Arbeit keine Zeit hat. Bitte, Lola. Nur für zehn Minuten. Ich habe Matthew schon gesagt, dass ich dir noch Tabletten bringen muss.«
Lola bat Carrie, in einer Stunde zu kommen. Bis dahin dürfte Bett fort sein. Lolas siebter Sinn sagte ihr, dass dies nicht der richtige Moment war, ihre Enkelinnen aufeinander loszulassen. Offenbar hatte die Beratungsstelle »Lola Quinlan: Großmutter« wieder geöffnet. Lola schaute auf die Uhr. Bett wäre sicher in zehn Minuten da. Das war wenig Zeit, doch sie reichte für das, was sie zu tun hatte.
Ihre Schwiegertochter war allein in der Küche. Gut. Lola hätte sich, falls nötig, auch vor Jim geäußert, doch so war es ihr lieber. »Hallo, Geraldine.«
»Lola.« Sie schaute argwöhnisch auf. »Geht es dir besser?«
»Ich war nicht krank. Ich war beleidigt. Deinetwegen.«
Geraldine blinzelte, sagte jedoch nichts.
Lola fuhr fort. »Was ich da gehört habe, hat mir ganz und gar nicht gefallen. Und wenn ich noch einmal vor der Wahl stünde, würde ich nicht einen einzigen Moment mit Anna, Bett, Carrie oder Jim anders verleben wollen. Ich verstehe bis heute nicht, was er in dir sieht, und offenbar gefällt dir nicht, was die Mädchen und Jim in mir sehen. Habe ich recht?«
Geraldine nickte.
»Gut. Dann wissen wir jetzt wenigstens, wo wir stehen. Und ich bewundere deinen Mut, mir das zu sagen. Ich bin froh, dass du deine Kinder so sehr liebst. Das tue ich auch. Also sind wir uns wenigstens darin einig. Und ich wollte dir mitteilen, was ich später auch Jim mitteilen werde. Ich habe mich entschieden, hier in Clare zu bleiben. Ich werde mich wegen eines Altersheims erkundigen und im nächsten Jahr, wann immer nötig, bereit zum Auszug sein.«
»Verstehe. Danke, Lola.«
»Nichts zu danken, Geraldine.«
Es gab keine Umarmung, kein Lächeln, keine Tränen, keine Versöhnung, doch als Lola wieder in ihr Zimmer ging, war es mit dem Wissen, dass dies das wichtigste Gespräch zwischen ihr und Geraldine in vierzig langen Jahren war.
Bett traf nur Minuten später ein. Sie stieg weinend aus dem Auto, erzählte Lola weinend, dass sich Daniel den Tag freigenommen hatte und zu Hause auf die Kinder aufpasste, berichtete weinend, dass sie von Januar an beide Teilzeit arbeiten würden, und erwähnte, noch immer weinend, dass sie sich in den letzten beiden Tagen nur gestritten hätten und ihre Ehe wohl am Ende sei.
Lola war verwirrt. »Wieso bist du so unglücklich? Genau das wolltest du doch, oder? Dass Daniel auf Teilzeit geht, damit du wieder stundenweise in die Zeitung kannst? Dass ihr euch die Betreuung teilt? Hattest du dir das nicht genau so vorgestellt?«
Weitere Tränen.
»Darling, hör auf zu weinen. Oder lass dich untertiteln. Ich kann nicht Tränen und Worte zugleich verstehen.«
Da endlich lächelte Bett, wenn auch nur kurz. »Das hatte ich gedacht. Aber Daniel passt das überhaupt nicht. Er tut das alles nur für mich. Und das ist kein hinreichender Grund.«
»Er wird es wohl kaum dem Briefträger zuliebe tun, Darling. Natürlich tut er das für dich und die Zwillinge. Warum sonst?«
»Ich habe ihn dazu gedrängt. Beinahe genötigt.«
»Nun verstehe ich gar nichts mehr. Willst du doch nicht arbeiten?«
»Doch. Ich glaube schon.«
»Na, so ein Glück, denn ich habe deinem Tränenfluss entnommen, dass deine Redakteurin dich gleich im neuen Jahr wieder bei der Zeitung haben will.«
»Aber ich bin noch nicht so weit. Und für Daniel ist es auch zu früh. Er ist noch kein halbes Jahr in dem neuen Job, und womöglich hab ich ihm das schon versaut. Du siehst, Lola, ich kann nichts tun, ohne alles zu vermasseln.«
»Große Güte«, sagte Lola.
Bett hörte schlagartig auf zu weinen. »Große Güte was?«
»Ich glaube zwar nicht an Zeitreisen, doch gerade habe ich den Eindruck, dass du die Uhr um dreißig Jahre zurückgestellt hast. Was redest du für einen Blödsinn!«
»Das ist kein Blödsinn.«
»Oh doch, Darling. Tut mir leid, dass ich so direkt bin, aber doch. Was hockst du überhaupt hier rum und erzählst das alles mir? Du solltest das mit Daniel besprechen.«
»Wir können nicht mehr miteinander reden.«
»Hat es euch die Sprache verschlagen?«
»Wir haben nie Zeit, die Babys, seine Arbeit, der Haushalt …«
»Hast du Zeit zu essen? Zu duschen? Dich anzuziehen? Ja? Na, dann hol dir da die Zeit. Iss weniger. Dusch schneller. Trag dieselben Klamotten zwei Tage
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