Die Frauen von Clare Valley
beunruhigen? Und auch Bett und Carrie? Nicht zu vergessen, all deine Freunde?
»Sie werden’s überleben.«
Sicher. Aber Sorgen machen sie sich trotzdem.
»Ich bin eine alte Dame, Anna. Alte Damen werden nun mal krank.«
Du bist nicht krank. Du schmollst.
»Ich schmolle nicht. Ich denke nach.«
Irgendwann ist damit auch mal gut. Nun hör schon auf, in Selbstmitleid zu baden.
»Wie kannst du es wagen!«
Klingt das nicht vertraut?
»Leider ja.«
Im Ernst, Lola, was kommt daran so überraschend? Du hast Mum nie gemocht – und sie dich nie. Neu ist lediglich, dass sie mit der Sprache herausgerückt ist. Und dass die beiden das Motel aufgeben wollen, wusstest du auch schon. Also, jetzt mal ehrlich, willst du wirklich mitgehen? Noch einmal ganz neu anfangen, in einem Bed and Breakfast im Riverland oder einer kleinen Pension in den Adelaide Hills oder wohin es die beiden auch verschlägt?
»Hast du gelauscht?«
Mir entgeht in dieser Familie nichts. Also, möchtest du deine letzten Monate oder hoffentlich Jahre mit Jim und Geraldine verbringen, in einer fremden Stadt, unter fremden Menschen? Oder würdest du lieber in Clare bleiben, in der Nähe von Bett, Carrie, dem Secondhandladen als sozialem Mittelpunkt, ganz zu schweigen von eurem Kontrollzentrum im Hinterzimmer?
»Davon weißt du auch?«
Wie gesagt, mir entgeht hier nichts. Betrachten wir das Ganze doch mal nüchtern. Du bist vierundachtzig Jahre alt. Bei ziemlich guter Gesundheit, hast noch die meisten Tassen im Schrank, aber fitter oder jünger wirst du trotzdem nicht. Es ist an der Zeit, ein paar Weichen für die Zukunft zu stellen.
»Vielleicht lässt sich das Motel mit mir darin verkaufen. Als Extra-Ausstattung.«
Ich sehe es schon auf der Webseite. Zum Valley View Motel gehören ein Swimming Pool, ein Veranstaltungsraum und eine ältere Dame irischer Abstammung. Du hast nicht zufällig den Wahrheitsstab in greifbarer Nähe?
Lola hatte den Wahrheitsstab seit Jahren nicht benutzt. Er stammte aus den Kindertagen der Mädchen und war immer dann zum Einsatz gekommen, wenn Lola schnell zum Kern eines Problems vordringen wollte. Wenn sie damit auf Anna, Bett oder Carrie gewiesen und gesagt hatte: »Heraus mit der Wahrheit!«, war der eigentliche Grund für Tränen und Verstimmung sofort herausgesprudelt.
»Den brauchen wir hier nicht. Ich sage dir auch so die Wahrheit. Ja, ich schmolle. Ja, ich möchte Geraldine ein schlechtes Gewissen einjagen. Nein, ich möchte nicht mit Jim und Geraldine in einem kleinen Bed and Breakfast an einem fremden Ort leben. Nein, ich möchte nicht von hier fortgehen. Ja, ich werde mich im Altersheim erkundigen. Zufrieden?«
Ausgesprochen. Kann ich jetzt gehen?
»Ja, aber bitte nicht zu weit weg.«
Lola saß noch einige Minuten lang still da. Natürlich glaubte sie nicht, dass Anna aus dem Jenseits heraus mit ihr kommunizierte. Doch sie fühlte sich seltsam getröstet, als ob sie wirklich gerade ein offenes Gespräch mit ihrer ältesten Enkelin geführt, als ob sie drängende Wahrheiten ausgesprochen hätte.
Und nun? Sollte sie eine wundersame Genesung vortäuschen? Sich bei Geraldine entschuldigen?
Wofür? Dafür, dass sie so war, wie sie war? Ihre Enkelinnen liebte? Nein, dafür nicht. Und die Zeit zurückdrehen konnte sie auch nicht. Doch sie würde mit ihrer Schwiegertochter sprechen. Sie würde ihr mitteilen, dass sie ihre Meinung respektierte, auch wenn ihr das nur schwer über die Lippen käme.
Das Telefon klingelte erneut. Diesmal ging Lola an den Apparat. Es war Bett. In Tränen aufgelöst.
»Ich hab alles versaut, Lola. Ich muss mit dir reden. Ich weiß, dass du krank bist, aber bitte, nur ganz kurz.«
»Was ist denn los? Was stimmt denn nicht?«
»Mein Leben. Meine Ehe. Lola, ich hab alles versaut, Bitte, kann ich zu dir kommen?«
Lola zögerte. »Solltest du nicht mit deiner Mutter reden?«
»Ich will aber nicht mit Mum sprechen. Ich will mit dir sprechen.« Bett heulte. »Bitte, Lola.«
Sie hatte es versucht. »Natürlich, Darling. Komm vorbei.«
Sekunden später klingelte das Telefon erneut. »Lola?« Im Hintergrund herrschte ein solches Getöse, dass Carrie kaum zu verstehen war. »Hast du gerade Besuch? Matthew geht mir auf die Nerven, und die Kinder streiten unentwegt. Wenn ich nicht gleich aus dem Haus komme, verlier ich den Verstand.«
»Kannst du nicht zu einer Freundin fahren?«
»Die haben selbst mit ihren nervenden Männern und streitenden Kindern zu tun.«
Lola versuchte es erneut.
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