Die Frauen von Clare Valley
ich wieder hier bin, starrst du mich nur an.«
»Ich staune nur, weil du aus deinem Zimmer rausgekommen bist.«
»Musst du heute nicht zur Arbeit?«
Rick schüttelte den Kopf. »Ich hab mich krankgemeldet. Ich hab …«, ihm fiel nichts ein, »’ne Krankheit.«
»Aha, ’ne Krankheit?«
»Nichts Schlimmes. Ich muss mal ein paar Tage freimachen.«
Neil nickte. »Und auf wen wartest du?«
»Was?«
Neil wiederholte die Frage.
»Niemanden«, erwiderte Rick.
»Und warum siehst du die ganze Zeit zur Tür?«
»Ich dachte, ich hätte die Post gehört.«
»Mann, ist mit dir alles okay?«
»Dasselbe könnte ich dich fragen.«
»Alles bestens.« Neil zog sich wieder zurück.
»Willst du ’nen kleinen Spaziergang machen? Schnell was trinken oder so? Ein bisschen abhängen?«
»Ich dachte, du bist krank?«
»Geht schon besser. Was meinst du? Woll’n wir raus?«
»Nein, danke.«
»Willst du über irgendwas reden?«
»Nein, danke.«
Neil machte Anstalten, in sein Zimmer zu gehen. Rick musste ihn unbedingt zurückhalten, weiter mit ihm reden. »Und, irgendwelche Pläne für Weihnachten?«
»Nein.«
Weiterreden, Rick, weiterreden. »Also ich fahr nach Hause. Zu meiner Familie. Wir sind Weihnachten immer zusammen. Ist ’ne gute Gelegenheit, sich zu sehen. Zu hören, was bei den anderen so los ist. Uns zu zeigen, wie viel wir uns bedeuten.«
»Toll«, sagte Neil, ging in sein Zimmer und schloss die Tür.
Rick konnte nur an die Tabletten in Neils Nachttisch denken. Hatte er es so geplant? Mit einer Überdosis Schlaftabletten?
Er konnte sich nicht zurücklehnen und Neil gewähren lassen. Er stand auf und hämmerte an die Tür.
»Neil?«
»Was?«
»Kannst du mal aufmachen?«
Es dauerte eine Weile, doch schließlich ging die Tür auf.
»Alles okay?«, fragte Rick.
»Ja. Was willst du?«
»Kannst du, äh … kannst du mir zwanzig Mäuse pumpen?«
»Ich hab kein Geld.«
»Hattest du Stress mit dem Arbeitsamt?«
»Ja.«
»Brauchst du was? Ich kann dir aushelfen.« Rick griff nach seinem Portemonnaie.
»Ich denk, du willst zwanzig Mäuse von mir.«
»Ja, richtig. Aber nicht jetzt. Für nächste Woche.«
Neil machte die Tür wieder zu.
Scheiße. Was denn jetzt? Neils Mutter hatte gesagt, sie würde sich sofort auf den Weg machen. Doch sie wohnte drei Stunden entfernt. Vor zwei Uhr konnte sie nicht da sein.
Sie hatte mit einer Mischung aus Entsetzen und Erleichterung reagiert, als Rick angerufen und geschildert hatte, was auf Neils Computer war. »Ich wusste doch, dass irgendwas nicht stimmt, dass er irgendetwas vorhat. Mein armer Junge. Wir müssen ihn daran hindern. Bitte, Rick, bleib bei ihm, pass bitte auf ihn auf. Bitte lass nicht zu, dass er sich noch etwas antut, bevor ich da bin.«
Er hatte es versprochen. Doch er wusste nicht, was tun, und auch nicht, wie. Wenn Neil das nicht mitbekommen hätte, hätte er einen Notdienst angerufen, die Samariter oder so. Die wüssten sicher, was zu tun war. Könnten ihm einen Rat geben. Soweit Rick wusste, musste man in solchen Fällen reden. Ob Reden aber das war, was Neil gerade brauchte? Wen könnte er denn sonst anrufen? Die Bullen? Na klar! Er würde die Bullen anrufen. Rick ging nach draußen und hoffte inständig, dass Neil ihn nicht verstand, wenn er mit gedämpfter Stimme sprach. Er wählte den Notruf. »Hi«, flüsterte er, als sich die Zentrale meldete.
»Polizei, Feuerwehr oder Krankenwagen?«
»Ich bin nicht sicher. Wer ist für einen möglichen Selbstmord zuständig?«
»Verzeihung?«
»Ich glaub, mein Mitbewohner will sich umbringen. Ich bin nicht sicher, aber seine Mutter macht sich schon seit Wochen Sorgen, und jetzt tu ich es auch. Das ist kein schlechter Scherz, ehrlich.« Rasch erklärte er die Situation. Dass sich sein Mitbewohner eine Hinfahrkarte ins Nirgendwo gebucht hatte. Er seit einer halben Ewigkeit sein Zimmer nicht verlassen hatte, außer um sein Arbeitslosengeld zu holen. Dass er sich seit Wochen auf seinem Rechner nur noch Suizid-Seiten ansah.
»Wie ist seine momentane Stimmung?«
»Schlecht. Depressiv.«
»Sein Leben?«
»Ziemlich mies. Da läuft gerade nicht viel glatt. Ich hab gedacht, er macht bloß ’ne schlechte Zeit durch. Hält sich ein bisschen bedeckt. Seine Mutter ist auf dem Weg, aber was, wenn sie zu spät kommt? Was mach ich bloß?«
»Wo ist er jetzt?«
»In seinem Zimmer. Mit einem Haufen von Tabletten.«
»Weiß er, dass Sie uns anrufen?«
Rick schaute zum Haus. »Glaub ich nicht. Seine Fenster
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