Die Frauen von der Beacon Street
in seinen Armen liegen, bevor sie sich lachend herauswand.
» Harley! Du Schlingel! « , schalt sie, hielt ihre Stimme dabei jedoch so leise, dass niemand sie hören konnte. » Jemand könnte uns sehen. «
» Mir egal. « Er grinste. Dann näherte er die Lippen dem perlmuttfarbenen Schwung ihres Ohres und flüsterte: » Ich dachte, du würdest letzte Nacht zu mir kommen. « Das Wissen, dass sie nur am anderen Ende des Flurs untergebracht war, hatte sich wie eine köstliche Marter angefühlt.
Sie legte ihm eine Hand an die Wange.
» Du bist immer noch rekonvaleszent « , sagte sie mit so leiser Stimme, dass er sich fast nicht sicher war, ob sie überhaupt etwas gesagt hatte. » Und außerdem schien es mir … nun, es war einfach zu riskant. «
Er legte ihr die Arme um die Taille, drückte sie an sich und vergrub seine Nase in den weichen Heiligenschein ihres blonden Haares. Er gönnte sich einen tiefen Atemzug, genoss diesen warmen Mädchengeruch an ihr, durchmischt mit einem Hauch Lavendelseife, die sie vermutlich von seiner Schwester geborgt hatte. Einen köstlichen Moment lang ließ sie es noch zu, dass er sie in den Armen hielt, dann legte sie behutsam die Finger unter seine Unterarme und lockerte seinen Griff um ihre Leibesmitte.
Jetzt hörten sie Schritte, die auf der anderen Seite der Treppe über den Boden des Wohnzimmers näher kamen, und die lackierte Schiebetür öffnete sich in genau dem Moment, als sich Dovie aus seinem Griff befreit hatte.
» Oh! « , rief Sibyl aus, als sie die beiden bei ihrem Stelldichein an der Tür ertappte. » Entschuldigt bitte. «
Harlan bemerkte aus dem Augenwinkel, wie seine Schwester kaum wahrnehmbar den Kopf drehte und Dovie mit dieser Geste bedeutete, ins Wohnzimmer zu gehen. Dovie kicherte und blickte wieder zu Harlan.
» Ich habe gerade deinen Vater im Esszimmer zurückgelassen « , sagte sie. » Wir hatten ein köstliches Mittagessen, stimmt’s, Sibyl? «
» Wenn man kaltes Fleisch mit Kraut köstlich nennen kann « , murmelte Sibyl und drehte ihnen den Rücken zu.
Harlan wurde bewusst, dass seine Schwester noch kein Wort mit ihm gewechselt hatte – ihn weder begrüßt noch nach seinem Befinden gefragt hatte. Er runzelte die Stirn, weil er sich ausgeschlossen und übergangen fühlte. Dovie entfernte sich von ihm, doch er hielt ihre Hand fest, als sie sich in Richtung Wohnzimmer auf den Weg machte, und ließ sie erst auf Armeslänge los. Sie winkte ihm über die Schulter hinweg zu, hauchte das Wort » bald « , und dann schloss sich die lackierte Tür hinter ihr, trennte ihn von ihr. Er hörte Gemurmel, Stimmen, konnte jedoch nicht ausmachen, was gesprochen wurde.
Harlan zog die Stirn in Falten, seine Mundwinkel wanderten nach unten. Nun, dann würde er sich eben mal im Esszimmer blicken lassen. Die Chance auf etwas Speck würde er nicht aufgeben, bloß weil sich sein Vater dort befand.
Als sich Harlan in Richtung Esszimmer bewegte, nahm er am Rande seines Gesichtsfeldes eine Bewegung wahr. Ganz tief in der Nische unter der Treppe, neben der Küchentür, erhaschte er einen Blick auf einen gestreiften Baumwollrock, der um die Ecke huschte, dann wurde wütend eine Tür geknallt.
» Betty « , rief er. Doch der Rock war schon verschwunden. Offenbar hatte die junge Köchin sein Gespräch mit Dovie belauscht. Aber warum war sie wütend? Verstehen konnte er das nicht. Okay, er hatte sie geküsst. Na und? Das hatte nichts zu bedeuten. Er fand, dass Betty ein nettes Mädchen war, das wusste, dass er nur ein bisschen herumschäkerte. Doch als er sich noch einmal an sie herangepirscht hatte, um einen weiteren Kuss abzustauben, hatte sie ihm die Küchentür vor der Nase zugeschlagen. Und jetzt beklagte sich Dovie gelegentlich, dass ihr Essen nicht richtig gar war.
Frauen waren einfach zu kompliziert. Mit einem Seufzer des Selbstmitleids nahm Harlan seinen ganzen Mut zusammen und trat ins Esszimmer.
Sein Vater schob gerade seinen Stuhl zurück und klopfte sich mit einer Beiläufigkeit den Anzug ab, die normalerweise seine Rückkehr ins Geschäftsleben außerhalb des Hauses an der Beacon Street signalisierte. Mrs Doherty stand über das andere Ende des Tisches gebeugt und sammelte schmutziges Geschirr ein. Leicht aufgeplustert hockte der Papagei auf der Lehne eines der Esszimmerstühle, den Kopf zum Schlafen tief ins Gefieder gestreckt, eine Klaue an die Brust gezogen. Mrs Doherty machte einen großen Bogen um den Stuhl, auf dem der Vogel saß, schenkte ihm einen
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