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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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Grobes, obwohl dies natürlich durch seinen scharfen Verstand mehr als aufgewogen wurde. Sibyl hatte einmal gesagt, er sei ein Seelenforscher. Dann studierte Benton Derby also gerne verrückte Menschen. Nun ja, recht so. Harlan hatte jedenfalls Besseres zu tun.
    » Wie geht es denn, Harlan? « , fragte Benton freundlicher, als Harlan erwartet hatte.
    Er rutschte unruhig auf seinem Stuhl umher, weil ihn die aufrichtige Sorge in Bentons Worten aus dem Konzept brachte.
    » Na ja, ganz gut, denke ich « , antwortete Harlan zögerlich. » Die Rippe heilt langsam. Habe mich viel ausgeruht. «
    » Das habe ich gehört, ja. Hast wohl ein paar harte Wochen gehabt. «
    Harlan schnaubte verächtlich. » Na ja, halb so wild « , erwiderte er. Er wünschte, Benton hätte ihm erlaubt, eine Zigarette zu rauchen. Eigentlich war es ziemlich kleinlich von ihm, dass er es ihm nicht gestattete, obwohl er selbst rauchte.
    » Als wir uns vor dem Swithin über den Weg gelaufen sind « , sagte Benton, » da warst du offenbar ganz schön in Eile. «
    » Na ja. « Harlan tat die Bemerkung mit einem Winken ab. » Ich hatte nur … war für eine Verabredung spät dran. «
    » Als die Probleme auftauchten « , fuhr der junge Professor fort, » wünschte ich, du hättest es mir gesagt. Vielleicht hätte ich helfen können. «
    » Ich finde, ein Mann muss auf eigenen Beinen stehen « , entgegnete Harlan, errötete jedoch.
    » Nun, sicher « , gab Benton zu, » und trotzdem. Wir kennen uns schon so lange. Ich kann mich sogar noch erinnern, wie du auf die Welt kamst. «
    » Ich dachte, Sie wären an der Uni gewesen, als ich geboren wurde. « Harlan zog die Stirn in Falten, verärgert über die unwillkommene Vertraulichkeit.
    » Das war ich, aber ich erinnere mich noch, wie Vater es mir in einem Brief schrieb. Der Captain habe sich gefreut wie ein Schneekönig. Jetzt komm schon, Harley. Warum bist du nicht zu mir gekommen? Du wusstest doch, wo du mich findest. «
    Harlan starrte ihn an, aber seine äußerlich ungerührte Miene verbarg nur notdürftig die Wut, die in ihm schwelte. » Sie waren lange weg « , meinte er schließlich.
    Benton erwiderte seinen Blick, und Harlan kam es so vor, als würde der Professor irgendwie traurig aussehen. » Das stimmt wohl, ja « , sagte er mit leiser Stimme.
    Harlan wartete ab, weil er wissen wollte, ob Benton wirklich begriffen hatte, warum er nicht zu ihm gekommen war. So begriffsstutzig konnte er doch nicht sein. Mindestens ein Jahr lang hatte es als fast sicher gegolten, dass Benton und Sibyl heiraten würden. Besonders, nachdem Sibyl diesem verschlagenen Coombs den Laufpass gegeben hatte. Harlan erinnerte sich noch gut daran, wie Eulah den Fortgang bis ins Kleinste verfolgt und Helen auch über die unbedeutendsten Gespräche, die leiseste Berührung ihrer Hände in Kenntnis gesetzt hatte. Alle hatten gespannt gewartet. Und Harlan vielleicht am meisten von allen.
    Harlan hatte sich immer nach einem Bruder gesehnt. Jemand, mit dem er sich ebenso hätte verbünden können wie Eulah mit Sibyl, jemand, der sich mit ihm die Last der hohen Erwartungen ihres Vaters geteilt hätte. Sibyl konnte manchmal fast so gut sein wie ein Bruder, besonders als er noch klein gewesen war. Oft war sie mit ihm draußen auf Erkundung gewesen. Sie hatte ihm das Angeln beigebracht. Und der stämmige Sohn des Geschäftspartners ihres Vaters war so lange da gewesen, wie sich Harley erinnern konnte. Er hatte sogar begonnen, sich auf Lans geschäftliche Abendessen mit den Derbys im Haus an der Beacon Street zu freuen. Nach dem Essen saß Benton oft bei Zigarre und Cognac mit dem Captain und Mr Derby zusammen, immer mit einem Auge auf die Tür, hinter der sich Harlan, wie er wusste, versteckte. Oft spähte der Junge dann hinter der Tür hervor, und Benton wandte ihm grinsend den Blick zu und widmete sich anschließend wieder den Gesprächen der Erwachsenen.
    Und dann hatte Benton alles vermasselt. Gibt seiner Schwester ausgerechnet für Lydia Pusey den Laufpass! Vielleicht hätte ihn ja Lydias Bruder um Hilfe gebeten, wenn er Probleme in der Schule gehabt hatte. Hatte Lydia überhaupt einen Bruder? Und wen kümmerte das? Harlan verzog finster das Gesicht und hasste den jungen Professor dafür, dass er den eigentlichen Ursprung der Kränkung, die immer noch an ihm nagte, nicht erkannte.
    » Nun also « , sagte Benton. » Ich habe ein paar Erkundigungen eingezogen, was deine Situation angeht. Und ich glaube, ich habe einen Ausweg gefunden.

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