Die Frauen von der Beacon Street
, begann Benton erneut mit leiser Stimme, damit ihn auch niemand hören konnte, der draußen auf dem Flur am Büro vorbeiging. » Dass es Absicht war. Von deiner Seite aus. «
» Absicht? Wovon reden Sie? « , fragte Harlan aufbrausend.
» Dass du erwischt werden wolltest « , klärte der Professor ihn auf. Er ließ ihn nicht aus den Augen.
» Das ist doch absurd! « , brach es aus Harlan hervor. Er ließ sich tiefer in den Stuhl zurückfallen und spürte, wie sich die geschnitzte Inschrift » Veritas « in seinen Rücken bohrte. Er riss den Blick von Benton los und landete damit wieder bei der Ecke des Schreibtischs. Langsam kannte er die eingravierten Schnörkel dieses akademischen Möbelstücks in- und auswendig.
» Wirklich? « , drängte Benton mit ganz neuer Sanftheit in der Stimme.
» Natürlich ist es absurd « , grollte Harlan. » Was für ein Interesse hätte ich denn daran, von der Schule zu fliegen? Glauben Sie etwa, es hat mir gefallen, nach Hause zu kommen und vom Captain so behandelt zu werden? Oder meinen Sie, es ist schön für mich, dass meine Schwester mich keine verdammte Sekunde mehr aus den Augen lässt? Und erst diese Haushälterin, die mich mit Adleraugen überwacht? «
» Nun, manchmal tun wir eben Dinge, ohne zu wissen, warum wir sie tun. Ganz gewiss bekommst du jetzt, da du zu Hause bist, mehr Aufmerksamkeit von ihnen als vorher. Sie machen sich Sorgen um dich. «
» Aufmerksamkeit! « , rief Harlan aus, rutschte auf seinem Bürostuhl nach vorn und packte die Armlehnen. » Als wäre es mir darum gegangen. Mehr Aufmerksamkeit von ihnen. Und was ist mit Miss Whistler? Glauben Sie denn, ich habe ihr das absichtlich eingebrockt? Ich weiß, was alle denken, und sie hat nichts davon verdient. Was denken Sie denn, was für ein Mann ich bin? «
Benton hielt seine Miene betont gütig. » Das ist eine interessante Frage, Harley. Eigentlich eine sehr interessante Frage. Für was für einen Mann hältst du dich denn? «
In diesem Moment rappelte sich Harlan, blind vor Verstörung und Wut, aus seinem Stuhl hoch. Nicht um alles in der Welt hatte er hier zu sitzen und sich das alles anzuhören. Was dachte Benton denn eigentlich, mit wem er redete? Und bloß weil er ihn als Jungen gekannt hatte, gab ihm das doch noch lange nicht das Recht … Außerdem war Benton aus ihrer aller Leben verschwunden, als er geheiratet hatte und nach Italien aufgebrochen war. Er hatte sie im Stich gelassen. In Wahrheit kannte er Harlan überhaupt nicht. Und dann geriet Harlan in schulische Schwierigkeiten, und Benton meinte, er könne sich einfach so in seine Angelegenheiten einmischen. Das würde er nicht zulassen. All diese Gedanken wirbelten durch seinen Kopf, als er aufsprang. Sein Atem ging schnell, er hielt die Fäuste an seiner Seite, und sein stechender Blick zielte auf Bentons immer noch gütig dreinblickendes Gesicht.
» Du bist aufgeregt « , bemerkte Benton.
» Und wie aufgeregt ich bin, verdammt noch mal « , fauchte Harlan zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. » Sie können das, was passiert ist, nachdem Sie spurlos verschwunden sind, gar nicht beurteilen, und es geht Sie auch nichts an. Sie kennen mich überhaupt nicht. «
Benton führte einen Finger an seine Lippen, beobachtete Harlan und schien sich diese Antwort durch den Kopf gehen zu lassen. Harlan wartete, fragte sich, warum er nicht längst aufgestanden und gegangen war, doch aus irgendeinem Grund bedeutete es ihm viel, was Benton sagen würde.
Schließlich holte der Professor tief Luft, den Finger immer noch an die Lippen gepresst.
» Du hast recht « , sagte er. Er nahm die Brille ab, fuhr sich mit der Hand über die Stirn und warf dann die Augengläser auf den Schreibtisch.
Harlan war überrascht und überrumpelt.
» Bitte? « , fragte er. Sein Zorn hatte sich deutlich gelegt, als hätte jemand die Hitze unter einem Topf heruntergedreht. Allerdings nicht ganz. Nur leicht. Er fasste mit der Hand die Stuhllehne und hielt sich daran fest, doch er ging nicht.
» Ich sagte, du hast recht. Setz dich. «
Verblüfft ließ sich Harlan wieder auf seinen Stuhl zurücksinken. Er fühlte sich besänftigt und getadelt zugleich.
» Also dann « , fuhr Benton fort, beugte sich auf seinen Ellbogen vor und richtete seine grauen Augen auf Harlans gespanntes Gesicht. » Tatsache ist, dass die Gründe für dein Handeln, ganz gleich welche, hier keinerlei Rolle spielen. Unser Hauptanliegen muss sein, dich zurück an die Schule zu holen. Du
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