Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
Vom Netzwerk:
das leise Brabbeln zu einem lauten Rufen, und Sibyl stieß einen Schrei aus. Sie sprang von ihrem Stuhl hoch, rieb sich die Hände fest am Stoff ihres Kleides, um wieder ein Gefühl zu bekommen, um sich zu vergewissern, dass sie in Sicherheit war, so groß waren ihr Entsetzen und ihre Angst.
    Denn der Tisch war mit eiskaltem Wasser überflutet.

ZWEI
    N achdem sie in der Gasse hinter der Beacon Street aus der motorisierten Droschke gestiegen war, blieb Sibyl einen Moment lang vor der Tür stehen, um auf den Fluss hinauszuschauen, und wackelte in den eng geschnürten Stiefeln mit den Zehen. Ihr taten die Füße weh, und sie wünschte, sie könnte wie früher ohne Schuhe gehen.
    In ihrer Mädchenzeit, bevor man den Charles River zur Errichtungen eines Binnenhafens gestaut hatte, hatte sie oft ihre Röcke geschürzt und auf Kniehöhe hochgebunden, um im schlammigen Flussbett hinter ihrem Elternhaus nach Aalen zu suchen. Eines Nachmittags war sie stolz mit drei fetten, glänzenden Exemplaren heimgekommen und war zur Küchentür gelaufen, um voller Triumph ihre Beute zu präsentieren. Barfuß, mit schlammverkrusteten Beinen und aufgelösten Zöpfen, den Korb voller sich windender, brackig riechender Aale war Sibyl ihrer entsetzten Mutter in die Arme gelaufen, die sie mit einem empörten » Wie siehst du denn aus? « begrüßte, ihren Fang konfiszierte und die junge Fischerin postwendend in die Badewanne beorderte.
    » Mach dir gar nicht erst die Mühe, heißes Wasser einlaufen zu lassen, wenn du den Fluss so sehr magst! « , waren ihr die tadelnden Worte ihrer Mutter bis in den ersten Stock gefolgt. Junge Damen fingen keine Aale, rief man ihr ins Gedächtnis, während sie sich den Schlamm vom Hals schrubbte, bis die Haut ganz rot und wund war. Doch später an diesem Abend hatte ihr Vater ihr gestanden, dass er ihre Fangversuche vom Fenster aus beobachtet habe, und es seien wahrlich prachtvolle Tiere gewesen.
    Sibyl seufzte, als die Sonne langsam tiefer sank, und wandte sich dann der Tür zu.
    » Ach, Sie sind zurück « , rief eine Stimme mit leicht gerolltem R, als Sibyl die Tür zuzog und sich ihre Augen an das schummrige Licht im hinteren Flur zu gewöhnen versuchten. » Putzen Sie sich die Füße ab, sonst gibt es Flecken. «
    Der weiße Anstrich des Flurs war gelblich verfärbt, dicke Schichten aus Rauch von Kohlefeuer, Tabak und ungenügend ziehenden Kaminen, und obwohl bei Einbruch der Dämmerung alle Gaslampen angeschaltet wurden, schluckten die Wände das Licht eher, als dass sie es reflektierten. Sibyl streifte den Mantel von den Schultern und reichte ihn der mürrischen Matrone, die ihn entgegennahm, wobei Sibyl ihr Bestes tat, sich wie die Dame des Hauses zu geben, die nach einem langen Tag in ihre eigenen vier Wände zurückkehrt. Doch damit konnte sie keine von beiden in die Irre führen.
    Clara Doherty, die Haushälterin, war eine alterslose, stämmige Person in einem altmodischen Leinenhäubchen und einem langen schwarzen Kleid. Auf den ersten Blick hätte sie ebenso gut in Sibyls Alter sein können, wäre sie nicht bereits von der Allston-Familie eingestellt worden, als Sibyl noch ein Kind gewesen war. Mrs Doherty war nun schon seit über zwei Jahrzehnten eine feste Größe am Rande der Familienfotos: Hier hielt sie ein Baby auf dem Arm, dort stand sie bei einem festlichen Abendessen hinter dem Tisch, und während um sie herum alle heranwuchsen und sich veränderten, blieb sie, wie sie war, hielt die Arme stramm an die Seite gelegt, das Gesicht reglos. Mrs Doherty war Irin, sah aber nicht danach aus, oder zumindest hieß es das immer. Ihre Augen waren klein, blau und hart, ihre Wangen eingesunken. Sie trug ihr dunkles Haar zu einem länglichen Knoten im Nacken hochgesteckt, und obwohl es dafür ziemlich lang sein musste, fiel es Sibyl schwer, sich Clara Doherty mit offenem Haar auszumalen.
    Sibyl hatte eine deutliche Vorstellung davon, wie warmherzig und freundlich irische Dienstboten sein können, ein Wissen, das sie aus Romanen und den Erinnerungen an den Haushalt von Freundinnen aus Kindertagen hatte. Meistens hießen diese Frauen Peg oder Mary, und sie waren ebenso freigebig mit frisch gebackenem Kuchen wie mit guter Laune. Sie liebten Heilige und kleine Kinder und hatten stets allerlei amüsante Volksweisheiten parat, die nur selten einen Sinn ergaben. Manchmal sehnte sich Sibyl danach, eins dieser irischen Mädchen aus ihrer Fantasie als Dienstbotin zu haben. Sie warf einen unauffälligen Blick auf

Weitere Kostenlose Bücher