Die Frauen von der Beacon Street
Haut mit zahlreichen Sommersprossen, was aussah, als wären ihre Wangen mit Kuchenteig bespritzt. Ihr Haar war von einem dunklen Rotbraun, kraus und über dem Scheitel zu einem dicken Dutt hochgebunden. Sibyl hielt sie im Haus für eine Verbündete, und Betty war die Einzige, die sie zum Lachen brachte, was innerhalb des Hauses eher selten vorkam. Wenn Bettys Witze manchmal den unziemlichen Beigeschmack von unterschwelligem Zorn hatten, dann versuchte Sibyl, darüber hinwegzusehen.
» Betty « , rief sie von ihrem Platz an der Türschwelle aus. Der Tumult in der Küche verstummte schlagartig, und eines der nicht fest angestellten Mädchen, ein bleiches Ding mit fleckiger Schürze, verharrte buchstäblich wie erstarrt mit den Armen über einer Rührschüssel, als wäre es beim Fangen abgeklatscht worden.
» Und ich sag’s dir, dann geb ich dir eine aufs Ohr, dass du Blut spuckst! « , beendete Betty ihre Schimpftirade auf das Mädchen, das eingeschüchtert am Kohleofen kauerte. Kaum war Betty diese deftige Drohung über die Lippen gekommen, bemerkte sie, wie mucksmäuschenstill es auf einmal in der Küche war, und sie drehte sich um.
» Bitte um Verzeihung für die Unterbrechung « , äußerte Sibyl von der Türschwelle aus.
» Raus « , befahl Betty dem unglückseligen Mädchen und wies mit resoluter Hand in Richtung Garten, woraufhin das Mädchen heulend davonlief. Betty wischte sich die mehlbestäubten Hände an der Schürze ab und trat auf Sibyl zu, wobei sie ihrer anderen Untergebenen einen Seitenblick zuwarf.
» Jetzt steh schon nicht da und halt Maulaffen feil « , fauchte sie in Richtung Küchentisch, wo wieder Bewegung in das Mädchen kam. Mit gesenktem Kopf und abgewandtem Blick machte es mit dem Teigwalken weiter.
» Haben den Teig zu viel geknetet « , bemerkte Betty in einer Mischung aus Entrüstung und Zerknirschtheit. Sibyl begriff, dass Betty keinen Zweifel daran lassen wollte, wer die Pastete verdorben hatte. » Aber keine Sorge, das kriegen wir hin. Dann wünschen Sie das Abendessen also um halb acht? «
» Mrs Doherty sagte mir, dass Mister Harlan eingetroffen ist « , sagte Sibyl und blickte Betty fragend an, als könne die Köchin ihr Aufklärung bringen. Neuigkeiten verbreiteten sich oft wie ein Lauffeuer im Dienstbotenquartier, und die meisten nahmen dabei den direkten Weg über die Küche.
» Ja, das ist er « , antwortete Betty, wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und hinterließ dabei eine weiße Mehlspur. Sie stützte die Hände in die Hüften und schüttelte den Kopf. Kurz hatte Sibyl den Eindruck, ein nachsichtiger Ausdruck husche über Bettys Gesicht. » Konnte ihn gar nicht verfehlen. «
» Schätze, er hat Ihnen oder Mrs Doherty gegenüber keine Andeutungen gemacht, wie lange er plant hierzubleiben « , stellte Sibyl fest.
» Ich glaube nicht « , entgegnete Betty etwas aufmüpfig. » Aber aus seinem Gepäck zu schließen, wird er wohl eine Weile bleiben. Und wenn das der Fall ist, brauche ich mehr Haushaltsgeld. Was wir essen, habe ich alles geplant, aber natürlich muss ich jetzt eine Person mehr rechnen, richtig? «
» Was bereiten Sie denn für heute Abend zu? « , fragte Sibyl.
» Brathähnchen, Wurstpastete, kalten Gurkensalat, Madeira und Orangencreme zum Nachtisch « , zählte Betty auf. » Für den Pudding musste ich an die Reserven. «
» Das dürfte reichen « , überlegte Sibyl und vermied es, die fettige Pastete mit der eingesunkenen Kruste anzuschauen, die an der Ofenkante stand. » Mrs Doherty hat nichts weiter bezüglich seines Eintreffens erwähnt? «
» Nnnnnein « , sagte Betty und zog das Wort dabei ein wenig in die Länge. » Aber es blieb nicht unbemerkt. «
» Das kann ich mir vorstellen. «
Die beiden jungen Frauen blickten sich an, während das Aushilfsmädchen am Tisch stand und den Teig mit noch größerer Heftigkeit bearbeitete.
» Na gut « , beschloss Sibyl. » Halb acht dann. Bitte sagen Sie Mrs Doherty, sie soll zum Ankleiden läuten. Eine halbe Stunde vorher müsste reichen, denke ich. «
» Ma’am « , schloss Betty mit einer winzigen Andeutung von Ironie und nickte. Dann wandte sie sich zu der offen stehenden Gartentür und schrie: » He, du faules Stück! Komm endlich wieder in die Küche, bevor ich dich an den Ohren reinzerre! «
Sibyl zog sich zurück, ließ die Küchentür hinter sich zufallen, eilte den Flur entlang und wappnete sich dafür, ihrem Vater gegenüberzutreten.
INTERLUDIUM
Ostchinesisches Meer,
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