Die Frauen von der Beacon Street
zu. Sie bezweifelte, dass er sie davon abbringen konnte, das zu glauben, wovon sie in ihrem tiefsten Inneren überzeugt war.
» Das spielt keine Rolle. Ich spreche nur hypothetisch. Oft ergeben Träume ja gar keinen Sinn, oder? Ursache und Wirkung werden vertauscht, die physikalischen Gesetze sind außer Kraft gesetzt, Szenen ändern sich ohne Grund. Richtig? «
Benton richtete seine kühlen Augen auf Sibyl, und einen Moment lang hatte sie das Gefühl, entblößt zu werden, als könnte er direkt ihre Gedanken lesen. Irgendwie war es ein Gefühl, das fremd und angenehm zugleich war. Sie rutschte auf ihrem Sitz herum und errötete.
» Kann sein, ja « , gab sie ihm zögernd recht.
» Und doch findet man inmitten dieses Unsinns gewöhnlich Elemente, die man wiedererkennt. Menschen oder Orte, die man kennt, die vielleicht auf unerwartete Weise angeordnet sind. Schließlich wacht man generell nicht auf und denkt, man habe von Dingen geträumt, die keinen Sinn ergeben. Es mag den Anschein haben, als sei das alles Unsinn, doch oft genug sind einem die Elemente vertraut, möglicherweise sogar so vertraut, dass wir eine Ahnung haben, warum wir in dieser bestimmten Nacht diesen bestimmten Traum hatten. Vielleicht taucht darin jemand auf, den wir erst kürzlich gesehen haben, wir durchleben eine Szene aus der jüngsten Vergangenheit, doch zunächst einmal scheinen die beiden Gedanken von Natur aus gar nicht zusammenzugehören. «
Sibyls Augenbrauen zogen sich zu einer tiefen Furche zusammen. » Vielleicht « , gab sie zu.
» Einige Wissenschaftler aus meinem Forschungsgebiet haben für dieses Phänomen einen Namen. Er lautet Kondensation. In Träumen kann sich ein einzelnes Bild auf viele verschiedene Erfahrungen beziehen. So kommt es, dass ein einzelnes Element des Unterbewussten als Symbol neben etwas stehen kann, zu dem es ursprünglich gar keinen Bezug zu haben scheint. Wenn wir uns dann jedoch das Symbol näher betrachten, wenn wir seine Assoziationskette überprüfen, dann beginnen wir, all seine verschiedenen Bedeutungen zu verstehen. « Er betrachtete sie aufmerksam, und sie las in Bentons Miene die aufrichtige Hoffnung, sie könne voraussehen, zu welchem Schluss er gleich kommen würde.
» Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht folgen « , sagte sie störrisch. » Was haben denn die Visionen, die ich habe, mit Träumen zu tun? Ich habe Ihnen gesagt, dass ich mich sowieso nie an Träume erinnere. Und die Visionen fühlen sich auch ganz anders an als das, was ich im Schlaf erlebe. «
Frustriert rieb sich Benton mit der freien Hand über die Stirn.
Über ihnen war erneut ein leiser Aufprall zu hören, der die Dachsparren des Stadthauses leicht zum Beben brachte. Sibyl schaute zur Decke und senkte dann wieder den Blick.
» Das haben Sie gesagt, ja. « Benton sprach hinter seiner Hand hervor, die er an seine Stirn gelegt hatte. » Aber Sie müssen doch begreifen, wo die Verbindung liegt. Wann haben Sie diese Visionen am klarsten? «
» Wenn ich … « begann Sibyl, geriet jedoch ins Stocken.
» Wenn ich unter dem Einfluss eines sehr, sehr schweren und gefährlichen Narkotikums stehe « , vollendete Benton ihn für sie.
» Ach, wirklich, Ben. So gefährlich ist es gar nicht. « Sie runzelte die Stirn und lehnte sich in die Polster des Fenstersitzes zurück. » Und was ist mit meinen Besuchen bei Mrs Dee? Da war ich ganz bei mir. Ich sehe einfach nicht ein, was das eine mit dem anderen zu tun hat. «
Der junge Psychologe blinzelte sie erstaunt an. » Der Hustensaft. «
» Was meinen Sie mit Hustensaft? « , sagte Sibyl verdutzt.
» Na, kommen Sie schon. «
» Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden. « Voller Unmut richtete sie den Blick wieder nach oben zur Decke.
» Ich dachte, das wüssten Sie. Sibyl, dieser Hustensaft enthält Opiate, ebenso wie die meisten Arzneien und Elixiere. Das ist auch ein Grund, warum ihre Abgabe endlich gesetzlich reguliert wurde. « Er starrte sie an. » Wussten Sie das nicht? Das ist chemisch betrachtet nämlich alles das Gleiche. Opium. Morphium. Hustensaft. Laudanum. «
» Laudanum auch? « , fragte sie. Ein Gedanke huschte an ihr vorbei und verschwand wieder, bevor er greifbar wurde.
» Gewiss. Alles das Gleiche. Sie haben alle die gleiche Wirkung, wenn auch in unterschiedlicher Stärke. Deshalb sind diese patentierten Arzneien auch so gefährlich. Es kann einfach zu leicht passieren, dass Menschen abhängig davon werden, ohne es überhaupt zu wissen. «
» Aber « ,
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