Die Frauen von der Beacon Street
einen Tusch und begann einen langsamen Foxtrott. Helen hob das Kinn, immer noch auf der Suche nach Eulahs zinnoberrotem Seidenkleid. » Sibyl « , antwortete sie. Ihre Augen durchforsteten die Menge. Keine Spur von dem jungen Mädchen. Wo war sie denn bloß?
» Das ist ein schöner Name. «
» Finden Sie? Ich fand ihn schon sehr seltsam, als er ihn für sie aussuchte. Aber ich habe mich daran gewöhnt « , sagte Helen, gab ihre Suche auf und wandte sich wieder ihrer Tischgenossin zu. Mit aufeinandergepressten Lippen dachte sie über ihre älteste Tochter nach. Solch ein ernstes Mädchen. Selbst als Kind war das Spielen bei ihr mit zielgerichtetem Ernst vor sich gegangen. Harley war hinter ihr hergetrottelt, und Sibyl gab ihm Anweisungen. Er war ihr kleiner Leutnant gewesen. Und so dickköpfig! Sibyl ließ sich einfach von niemandem etwas sagen. Es war eine Erleichterung, dass sie so zuverlässig war. Man stelle sich vor, ein Kind mit Eulahs Quirligkeit und Sibyls Unabhängigkeit! Nun, allein der Gedanke bereitete Helen Herzrasen.
Dabei hatte Sibyl anfangs durchaus das Zeug zu einem hübschen Mädchen gehabt, fand Helen. Ein wenig dunkel. Und einen Hauch zu dünn. Doch sie hatte ihre Verehrer gehabt, und das nicht zu knapp. Der junge Coombs. Der ein Unschuldslamm gewesen war, aber durchaus gepasst hätte. Auch diesen Derby hatte sie recht gern gemocht, und er hätte ja vielleicht Richards Platz in der Firma eingenommen und für Lan einen anständigen Nachfolger abgegeben. Eine Zeit lang hatte es so ausgesehen, als gehe für Sibyl alles den richtigen Weg. Lan war sich so sicher gewesen! Doch dann war etwas geschehen. Helen hatte nie begriffen, was. Sie machte sich Sorgen, Sibyl könne allzu zurückhaltend gewesen sein. Mehr die gute Freundin und zu wenig Frau. Schließlich hatte Helen hinnehmen müssen, dass Sibyl ein hoffnungsloser Fall war. Dann würden sie sie eben zu Hause behalten, wenn es denn so sein sollte. Besonders wenn Lan älter wurde. Dann würde Sibyl unersetzlich sein.
» Nun, ich finde den Namen recht elegant « , sagte Eleanor und drehte mit den Fingern den Stiel ihres Weinglases.
» Sibyl ähnelt sehr ihrem Vater « , grübelte Helen und betrachtete den Lilienstrauß, der die Mitte des Tisches schmückte.
» Ach! Wie das? «
Helen dachte nach. Sie war siebzehn gewesen, als sie Lan Allston kennengelernt hatte. Es war bei einem Ball gewesen, den ihre Cousins und Cousinen Edgell in Boston gaben, und Helen erinnerte sich, dass ihre Mutter ihr an jenem Abend zum ersten Mal erlaubt hatte, sich das Haar aufzustecken. Sie hatte sich schrecklich erwachsen gefühlt, mit diesem Tuff aus Locken oben auf ihrem Kopf und der Turnüre aus Taft, die über ihrem Hinterteil thronte und bei jedem Schritt vornehm raschelte. Für das Fest war sie den ganzen Weg von Framingham nach Boston gefahren, zusammen mit ihrer Mutter, die bezüglich Helens Fortkommen einen Ehrgeiz an den Tag legte, der ihren eigenen für Eulah bei Weitem in den Schatten stellte. Es kam nicht oft vor, dass sie zu einem Ball in Boston eingeladen wurde, und so war ihre Mutter fest entschlossen, alles auf eine Karte zu setzen. Den größten Teil der Zugfahrt hatte Helen damit zugebracht, der endlosen Litanei ihrer Mutter zu lauschen, die ihr aufzählte, wer denn nun alles zum Ball kommen würde, wen Helen unbedingt kennenlernen müsse und was sie auf gar keinen Fall sagen dürfe.
Doch Helen war nie besonders selbstsicher gewesen, erst recht nicht mit siebzehn. Als sie endlich beim Ball erschienen waren, hielt sie sich in erster Linie allein am Rande des Salons auf und beobachtete, wie Grüppchen von jungen Leuten lachten und ernsten Schrittes Quadrille tanzten. Helen in ihrem purpurroten Taftkleid hingegen rang die Hände und wünschte, sich einfach hinter dem Farn in Luft auflösen zu können. Keines der anderen Mädchen trug Purpurrot. War das vielleicht altmodisch? Sie kannte niemanden außer ihrer Cousine Constance, die sowieso älter war und bei der es immer den Anschein hatte, als wäre sie bloß aus Pflichtgefühl nett zu Helen und nicht aus Zuneigung.
» Na los « , zischte ihre Mutter in Helens Ohr. » Jetzt misch dich doch wenigstens unter die Leute! «
Helen verspürte ein deutliches Zwicken in ihrem Oberarm und quietschte.
» Mutter! « , zischte sie zurück. Doch mit Mehitabel Edgell war nicht zu spaßen. Helen spürte, wie die Augen ihrer Mutter Löcher in ihren Nacken bohrten, während sie ihre zögerliche Tochter hinter dem
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