Die Frauen von der Beacon Street
Tür.
Klopf.
Klopf.
Klopf.
Aus der Tiefe des Gebäudes glaubte sie jetzt eine junge Männerstimme rufen zu hören: » Mein Gott! « Dann kam, mehr aus der Nähe, die gleiche Stimme, die sagte: » Mensch, Andersen, hast du mal wieder deinen Schlüssel vergessen? « , während sich jemand an Schlössern und Riegeln zu schaffen machte.
Schließlich ging überraschend die Tür nach innen auf, und Sibyl fiel praktisch hinein, direkt in die Arme eines überraschten, großen blonden Studenten in gestreiftem Pyjama und Morgenmantel. » Was zum Hen … oh! « , rief er aus.
» Harley « , murmelte Sibyl und fuchtelte mit der Hand herum. Ihr Kopf schlackerte bedenklich, als sie versuchte, dem Jungen ins Gesicht zu schauen, doch seine Züge blieben verschwommen. Vage nahm sie wahr, dass sich laute Schritte näherten, und die Stimme eines anderen Jungen sagte: » Sack und Asche, wen hast du denn hier? «
» Keine Ahnung « , erwiderte der Junge, der sie halbwegs aufrecht hielt. Seine Arme fühlten sich spindeldürr und jung an unter ihrem Gewicht, und sie bemühte sich, sich wieder aufzurichten und ihn abzuschütteln, doch ihre Beine gehorchten nicht.
» Hattest du drei Wünsche frei? « , fragte der zweite Junge lachend. » Sieht jedenfalls ziemlich fertig aus, finde ich. «
» Ja. Ich glaube, ich hole mal besser den Professor « , sagte der erste Junge.
» Ich glaube, du hast recht « , stimmte der zweite zu und lief polternd davon.
» Miss? « , rief ihr Retter ihr laut ins Ohr. » Miss? Ich helfe Ihnen mal da auf die Bank, okay? «
» Hm « , sagte Sibyl. » Harley. « Sie spürte, wie jemand sie in Bewegung versetzte. Ihre Füße schleiften am Boden.
» Hm? «
» Harley « , wiederholte sie, und ihr Kopf sank ihr auf die Brust.
» Was, Harley Allston? Sie kennen ihn? Aber der wohnt gar nicht mehr hier. Den haben sie nach Hause geschickt. « Und als würde ihm einiges klar, fügte er leise hinzu: » Jetzt verstehe ich auch, warum. «
Weiteres Fußgetrappel, und der zweite Junge sagte: » Hier drüben. Lester kümmert sich um sie. «
» Und du hast keine Ahnung, wer sie ist? Hand aufs Herz, Cooper. Du musst mir die Wahrheit sagen « , warf eine ältere männliche Stimme ein. Eine Stimme, die ihr bekannt vorkam. Sibyl versuchte, den Blick auf den Neuankömmling zu richten, doch alles verschwamm vor ihren Augen.
» Wirklich, wir haben sie noch nie in unserem ganzen Leben gesehen « , erwiderte der zweite, Cooper.
Dann rief die ältere Stimme: » O mein Gott! «
» Ach Professor Derby! Sie kennen sie? «
Benton. Sibyl gab sich noch mehr Mühe, sich verständlich zu machen, doch ihre Zunge lag so schwer am Gaumen, dass sie keinen Ton herausbrachte.
» Jungs « , sagte Benton, ohne auf die Frage einzugehen, ob er sie kannte oder nicht. » Ihr habt das Richtige getan. Kommt, helft mir, sie nach oben zu kriegen. Ich rufe einen Arzt. «
Sibyl spürte, wie ihr Arm um ein Paar kräftige Schultern gelegt wurde, zwei andere Arme schlangen sich um ihre Taille, und dann wurde sie einen langen Flur entlanggeführt. Eine Tür öffnete sich, und sie wurde mit am Boden schleifenden Füßen über einen üppig gemusterten Teppich gezogen und schließlich auf einer Couch niedergelassen. Einer wundervollen, mit Brokat bezogenen Couch. Mit einem Seufzer unermesslicher Erleichterung ließ sie sich hineinsinken und legte die Wange an die etwas kratzige Oberfläche.
Die Stimmen um sie herum verebbten und gingen in ein allgemeines Gemurmel und einen leise geführten Disput über. Türen öffneten und schlossen sich. Sibyl drückte die Wange an den Brokatstoff und legte eine Hand über ihr Gesicht. Dann spürte sie, wie ihr ganz allmählich die Sinne schwanden, und sie sank in einen köstlichen, tiefen und festen Schlaf.
» Nun, ich kann verstehen, warum Sie sich Sorgen gemacht haben, aber ich denke, es wird ihr bald wieder gut gehen « , sagte jemand.
Sibyls Augen öffneten sich. Sie war auf der Stelle wach.
Sie sah Benton, der ein wenig von ihr entfernt mit einem bebrillten Mann sprach, welcher eine schwarze Ledertasche in der Hand hatte. Benton? Wieso war er denn hier? Wo war sie überhaupt? Ihr Blick schweifte in dem Raum umher, in dem sie lag, ohne Schuhe, seitlich auf einer Brokatcouch. Es war eine Art Wohnzimmer mit dunklen Holzverkleidungen und vielen Bücherregalen. Tiefe Ledersessel, ein Zimmertreibhaus voller Farne unter Bleiglas. Ein alter Globus, vergilbt, drüben in einer Ecke. Ein Teleskop aus Messing, aus dem
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