Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
Vom Netzwerk:
Universum. Weder für diese Kaffeetasse noch für uns. «
    » Dann bist du also seiner Meinung « , schloss Sibyl und verzog bestürzt das Gesicht. » Aber wenn wir auf das, was uns geschieht, keinen Einfluss haben, dann hat alles keinen Sinn. Dann können wir keine Menschen mit Moral sein. «
    » Was meinst du damit? « , fragte Benton.
    » Papa hat gesagt, er habe gewusst, dass er gesündigt hat. Er sieht diese … diese Fähigkeit, die wir haben, als Fluch an. Er hält sich für verdammt. Es ist, als habe man ihm die Fähigkeit genommen, ein guter Mensch zu sein. «
    Sie hielt inne, weil sie ein Gefühl für ihren Vater durchströmte, das ihr so fremd war, dass sie es zunächst nicht identifizieren konnte. Nach kurzem Nachdenken wusste sie allerdings, was es war: Mitleid.
    Benton stoppte mit einer abrupten Handbewegung das Drehen des Globus. Sibyl sah, dass seine Hand auf der Ostküste Chinas ruhte.
    » Ich denke « , sagte er und spielte weiter mit der künstlichen Erdkugel, » dass die Kindheit uns ein Muster dafür vorgibt, was für Menschen wir einmal werden. Aber das ist nicht das Gleiche wie Schicksal. Nicht ganz jedenfalls. « Er unterbrach sich, schaute gedankenverloren auf den Globus, rollte ihn hierhin und dorthin. » Es ist Charakter « , sagte er schließlich. » Wir sind die Menschen, die wir sind. Ob das nun aufgrund unserer Kindheit ist, ob Gott die Hand im Spiel hat oder die Natur, das ist ziemlich unwichtig. Vielleicht täuscht sich dein Vater, und es ist überhaupt kein Fluch. Dein Vater und du, ihr habt beide im Grunde gesehen, was der bestmögliche Ausgang von Harlans Leben ist. Und das ist der Weg, den er selbst für sich erwählt hat. «
    Sie stand auf und strich mit der Hand über das Teleskop am Fenster. » Ich hasse es « , flüsterte sie, » dass wir nicht frei sein können. «
    Als sie den verwunderten Blick in ihrem Rücken spürte, unterbrach sie sich. Ohne sich umzudrehen, fügte sie hinzu: » Ich schätze, es überrascht dich, das aus meinem Mund zu hören. Ich, die ich immer ein Leben geführt habe, das man mir auferlegt hat. «
    » Das schockiert mich überhaupt nicht. Aber du darfst mich nicht missverstehen. Diese grundlegenden Gesetze herrschen über uns, so wie die physikalischen Gesetze über diese Kaffeetasse herrschen. Doch wenn wir zu Vernunft gelangen, werden wir frei zu handeln. Wir sind frei, unserem Leben die Bedeutung zu verleihen, die wir uns wünschen. Wir agieren, und indem wir das tun, bekommt die Wahl, die wir treffen, eine Bedeutung. «
    » Aber das ist eine sehr perverse Art Freiheit « , sagte Sibyl irritiert.
    » Es ist die beste Freiheit überhaupt « , entgegnete er. » Die Gedankenfreiheit. Was zählt, ist nicht Harlans Tod an sich. Harlans Tod ist sicher. So wie deiner auch. « Er hielt inne, sah sie an. » Und meiner. Was zählt, ist das Leben, das zu führen er sich entscheidet. Die Bedeutung, die er ihm gibt. Er muss die Möglichkeit der Wahl haben, sein Leben in Ehre zu leben. «
    Sibyl schaute Benton an und spürte, wie ihr der Mut sank.
    » Du hast recht « , flüsterte sie. In ihren großen obsidianschwarzen Augen dämmerte die Erkenntnis. Sie packte das Teleskop noch fester und wandte den Blick aus dem Fenster, um zu sehen, wohin das Fernrohr zeigte. Es war auf den Himmel über Cambridge gerichtet, der mit seiner kristallblauen Farbe einen herrlich klaren Tag verhieß.
    » In gewisser Weise « , bemerkte Benton, löste sich von dem Globus, trat neben Sibyl ans Fenster, ergriff ihre Hände, rieb mit den Daumen über ihre Knöchel, » führt uns das wieder auf die Debatte zwischen Edwin und mir zurück. Er ging davon aus, ein Verständnis des Todes würde dem Leben eine Bedeutung verleihen. Ich aber glaube, jemand, der sein ganzes Leben damit verbringt, auf den Tod zu warten, könnte ebenso gut tot sein. «
    » Ben « , sagte sie. Angst strömte eiskalt durch ihre Adern, doch sie beschloss, dass sie die Wahrheit wissen musste.
    » Ja? «
    » Warum hast du Lydia mir vorgezogen? «
    Es trat ein langes Schweigen ein, und die Haut in Sibyls Nacken prickelte, so deutlich war sie sich seiner Nähe bewusst.
    Er zog die Augenbrauen zusammen und schien nicht gleich zu wissen, wie er ihr antworten sollte. » Aber das habe ich gar nicht « , sagte er schließlich. » Vermutlich dachte ich, nachdem ich so lange von dir keine Bestätigung erhalten hatte, dass du mich nicht haben wolltest. «
    Sie blickte in seine grauen Augen empor, die ganz weich vor Bedauern

Weitere Kostenlose Bücher