Die Frauen von der Beacon Street
in die Länge, rieb sich mit einer Hand über die Stirn. » Nichts dergleichen. Aber er hat alles getan, um nicht mit mir sprechen zu müssen; wenn ich ihm nicht in den Weg getreten wäre, hätte er mich geschnitten. Selbst da konnte er es kaum erwarten wegzukommen. Und im Club, stellte sich heraus … « Benton hielt inne. Offenbar war es ihm peinlich.
Sibyl beugte sich in ihrem Stuhl vor.
» Nun, ich fürchte, er schuldet einigen Clubmitgliedern eine Menge Geld « , brachte er seinen Satz zu Ende.
Sibyl sank verwirrt in ihren Stuhl zurück. » Aber das ist unmöglich. «
Er musterte sie.
» Nein, da muss ein Irrtum vorliegen « , beharrte Sibyl und sprang erregt auf. Benton erhob sich ebenfalls, als sie ihren Stuhl zurückschob, und stand mit verschränkten Armen am Schreibtisch, während sie in dem schmalen Zimmer auf und ab ging.
» Warum sagen Sie das? « , fragte er.
» Nun, weil Harlan Geld hat, über das er verfügen kann « , sagte Sibyl und erbleichte bei der Erwähnung von Geld. » Und das reichlich bemessen für seine Bedürfnisse ist. Geld, das für ihn angelegt wurde. Wenn er beim Kartenspielen verloren hätte, würde er seine Schulden gewiss einfach bezahlen und fertig. «
» Gewiss « , stimmte Benton ihr etwas vage zu. Dabei ließ er sie nicht aus den Augen.
Sibyl blieb stehen und sah dem Professor direkt ins Gesicht. Sein Blick war eindeutig neutral. Sie zog die Stirn in Falten, weil sie nicht aus ihm nicht schlau wurde.
» Natürlich würde er das! « , entrüstete sie sich etwas zu laut.
Seine Miene blieb ausdruckslos.
» Ich … « , hob sie an. » Er … « Sie merkte, dass sie sich verhaspelte, und befürchtete, die Selbstkontrolle zu verlieren und eine Szene zu machen. Überrascht stellte sie fest, dass sie wütend war – aber auf wen eigentlich? Auf Benton? Ihren Bruder? Sie griff nach ihrer Handtasche und dem Hut und begab sich mit steifen Schritten zur Tür.
» Sibyl « , fing Benton an und streckte eine Hand aus, um sie aufzuhalten.
» Danke, Benton. « Ihre Stimme war wieder kühl und förmlich geworden. » Es war sehr freundlich von Ihnen, mich davon in Kenntnis zu setzen. «
» Warten Sie « , erwiderte er leicht ungehalten und kam hinter seinem Schreibtisch hervor, um sie auf halbem Weg zur Tür abzufangen.
» Es wird nicht nötig sein, mich hinauszubringen « , sagte Sibyl. Ihre Gedanken rasten vor Zorn auf ihren Bruder, weil er sie in eine solch missliche Situation gebracht hatte. Weil er es wieder einmal ihr überließ, seine Probleme zu lösen, und weil er sie in den Augen von Benton verletzlich gemacht hatte. Die Förmlichkeit war wie ein Schutzschild, der sie vor ihren innersten Gefühlen beschützte. Doch sie wusste, wie überheblich sie wirkte, und das ärgerte sie ebenso.
» Nein, hören Sie mir zu. « Benton hielt sie auf, ergriff ihren Ellbogen. Sie zuckte bei der vertrauten Berührung zusammen. Seine warmen Finger drückten sich in das feste Fleisch ihres Oberarms, der unter mehreren Schichten Leinen und Wolle verborgen war. » Das ist eigentlich gar nicht der Grund, warum ich angerufen habe. Ich meine, da ist nämlich noch etwas. Ich habe den deutlichen Eindruck, dass Harley gebeten wurde, endgültig die Schule zu verlassen. « Benton sprach schnell, drängend.
» Zu verlassen? « Sibyl wiederholte das Gesagte mit großen Augen.
» Anders kann ich es mir nicht erklären. «
» Aber wieso? « Ihre dunklen Augen blickten forschend in die seinen, doch er schien auch nicht mehr zu wissen als sie.
» Keine Ahnung. Deshalb habe ich ja angerufen. Zu Ihnen hat er nichts gesagt? « Benton hielt sie immer noch am Ellbogen, sanfter, da sie nicht mehr versuchte, sich zu entziehen.
» Mir erzählt er doch sowieso nichts « , erwiderte sie. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Als Sibyl in Bentons besorgte Augen schaute, musste sie plötzlich an etwas denken.
Harley, langsam!, schrie sie in ihrer Erinnerung, als ein zehn Jahre alter Junge quer durch den Salon schlidderte und mit seinem Ellbogen nur knapp eine Vase verfehlte. Strampelnd wurde er von einem lachenden Mann etwa Mitte zwanzig geschnappt – dem Geschäftspartner ihres Vaters, in dessen grauen Augen der Schalk blitzte.
Hab ich dich. Der junge Mann grinste, rang den Jungen zu Boden und hielt ihn dort unter heftigen Protesten fest.
Was hast du dir denn gedacht? Siehst du denn nicht, was du für einen Schaden anrichten kannst? Du solltest mehr aufpassen, verlangte ihr sechzehnjähriges Ich von
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