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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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Kind. Sie quietschte vor Überraschung, eine Locke ihres Haares löste sich, und ihr Kreischen wurde zu einem vorgetäuschten Lachen. Der Seemann warf sie sich über die Schulter und trug sie die Treppe hoch, ohne auf die Madame zu achten, die wie eine Henne, die um ihr Küken besorgt ist, neben ihm herlief.
    » Na großartig! « , jubelte Tom mit lüsternem Blick und rammte Lannie den Ellbogen in die Seite.
    Lannie zuckte bei der groben Geste zusammen, setzte aber schnell ein beschwichtigendes Lächeln auf. Der ältere Seemann rieb sich die Hände, als ginge es zu einem üppigen Festmahl. Die Madame folgte ihrem Schiffskameraden, der tief gebeugt unter seiner schweren, zappelnden Beute die Treppe hochstieg, und so drängelte sich Tom, mit einem Grinsen seines teilweise zahnlosen Mundes, nach vorn und packte das erste Mädchen, das junge mit den niedergeschlagenen Augen, am Handgelenk. Sie schrie erschrocken auf und verdrehte den Arm, um sich loszumachen, doch der Seemann hielt ihren Protest für gespielt und packte noch fester zu.
    » Oh, die ist kräftiger, als sie aussieht, was? « Er lachte. Das Mädchen wehrte sich noch stärker, als Tom begann, sie zuerst mit sanftem Nachdruck und dann mit beginnender Ungeduld in Richtung Treppe zu ziehen. Die Augen des Mädchens weiteten sich, und sie rief nach der Madame, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Lannie runzelte die Stirn. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie einer der bislang unbeteiligten Männer an der Bar sich auf seinem Hocker herumdrehte und langsam sein Glas abstellte.
    » Bloß weil du im yichang bist, bedeutet das noch lange nicht, dass du dich benehmen kannst wie ein Tier « , sagte der Mann.
    Yi war ein Wort, das in Shanghai verboten war, zumindest in Bezug auf einen Weißen. Es bedeutete » Barbar « . Yichang bedeutete » Barbarenviertel « , und Lannie begriff, dass der Mann gerade die schlimmste Beleidigung für Tom ausgesprochen hatte, die ihm zur Verfügung stand.
    » Was? « , rief Tom und hielt inne. Das Mädchen wehrte sich immer noch, doch Tom hielt sie mit einer Leichtigkeit fest, als hätte er bloß eine zappelnde Forelle an der Angel.
    Die Gruppe Seeleute wich auseinander und machte Platz, weil alle spürten, dass sich im Raum etwas verändert hatte. Lannie sah zu dem Mann hinüber, der gerade gesprochen hatte, und stellte zu seiner Überraschung fest, dass es sich um einen Chinesen handelte, obwohl seine Stimme einen winzigen britischen Akzent hatte. Er war jung, Anfang zwanzig, trug eine schlichte Tunika und die weite Hose eines Studenten. Ein langer Zopf hing ihm bis weit über den Rücken. Obwohl kleiner als die Männer aus dem Westen, war er muskulös und wirkte – auch mit seinen von den Pocken verunstalteten Wangen – wie jemand, der seinen Worten mit mehr als nur seinem Intellekt Nachdruck verleihen konnte.
    » Du hast einen Fehler gemacht « , sagte der Mann an der Bar. Seine Hände hingen entspannt herunter.
    » Wovon in Gottes Namen redet der eigentlich? « , fragte Tom, immer noch lachend, seine Schiffskameraden. In der Gruppe breitete sich ein Schweigen aus, das sowohl der Anspannung als auch ihrer Wachsamkeit geschuldet war.
    » Du behandelst sie wie eine yao’er « , fuhr der Student fort, unbeeindruckt von der plötzlichen Stille. Mit der Stille kam Reglosigkeit, auch den Männern an der Bar war deutlich anzumerken, dass sie die Situation gespannt verfolgten. » Wie jemanden, der keinen Respekt verdient hat. «
    » Na so was. Ich glaube fast, das Schlitzauge da meint mich « , sagte Tom, aus dessen Stimme jetzt die Fröhlichkeit versiegt war. Seine Augen waren schmal geworden.
    In diesem Moment erschien die Madame wieder auf der Bildfläche. Sie beugte sich über das Treppengeländer und rief dem Mädchen etwas zu. Ihre Löckchen bebten. Das Mädchen antwortete mit schriller Stimme. Hier mischte sich der Student ein, bellte der Madame etwas zu, und sie kam schnell die Treppe herunter und blieb in der Nähe des Tresens stehen.
    » Ich werde es erklären, dann kannst du dich entschuldigen « , fuhr der Student fort, dem immer noch keine Spur von Nervosität anzumerken war, denn seine Stimme klang ruhig und ungerührt. Geradezu freundlich. » Sie ist eine shuyu, aus Suzhou, wo die Frauen ganz besonders schön sind. Eine Künstlerin. Sie erzählt Geschichten. Sie macht wundervolle Musik. Ihre Stimme ist wie Wasser, das plätschernd über Steine fließt. Und sie betreibt ausgezeichnet Konversation. «
    Toms Gesicht

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