Die Frauen von der Beacon Street
gebeugt – sehr zum Kummer von Lan, zu dessen Leibgerichten ein schlicht zubereiteter Hummer mit geläuterter Butter und Reis gehörte. Obwohl Helen schon seit geraumer Zeit den Haushalt nicht mehr führte, war ihr Bann aufrechterhalten worden, und Lan konnte seiner Leidenschaft für das ominöse Krustentier nur unter Vorwand frönen.
» Wie ist es mit dir? « , fragte ihr Vater, faltete die Zeitung zusammen und legte sie beiseite. » Hast du denn überhaupt etwas zwischen die Kiemen bekommen? Da mache ich mir Sorgen, weil ich dich ganz alleine zu Hause gelassen habe, und muss dann feststellen, dass du deiner eigenen, mysteriösen Wege gegangen bist. Langsam laufen wir Gefahr, unser Personal zu vergraulen, weißt du das? « Er musterte sie mit nachsichtiger Freundlichkeit, und Sibyl lächelte.
» Ganz und gar nicht mysteriös « , erwiderte Sibyl und umschiffte damit geschickt die Thematik ihres eigenen Abendessens und die Frage, worin es eigentlich – wenn überhaupt – bestanden hatte. » Ich habe einige Besuche abgestattet und mich dabei so verplaudert, dass ich die Zeit vergessen habe. «
» Hm « , gab Lan Allston nur von sich.
Das Kaminfeuer flackerte in seinen funkelnden Augen, auf der langen Nase, die Sibyl von ihm geerbt hatte, den langen, ergrauten Koteletten, dem schmalen Mund, und einen Moment lang sah Sibyl ihn vor sich, wie er wohl als junger Mann ausgesehen hatte. Das ganz besondere Zusammenspiel von Licht und Schatten in dem kleinen Salon weckte den Anschein, als wäre dieser junge Lan noch immer irgendwo in der würdigen Gestalt des Gentlemans verborgen, der ihr Vater heute war. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als hätte er sie bei etwas ertappt, wie es so oft der Fall gewesen war, als sie noch ein kleines Mädchen war. Nein, die Kerzen waren nicht über Nacht gestohlen worden – sie waren von einem jungen Mädchen heruntergebrannt worden, das die ganze Nacht Romane las. Nein, Helens Schal war nicht verloren gegangen – er hatte Tintenkleckse, weil ein junges Mädchen beim Briefeschreiben nicht genug aufgepasst hatte. Manchmal vergaß Sibyl, wie gut ihr Vater sie meistens durchschaute. Sie knetete ihre Hände im Schoß und ließ sich nicht weiter über ihren nachmittäglichen Ausflug aus. Er beobachtete sie, und sie wusste, dass er sich überlegte, ob er nun in sie dringen sollte oder nicht.
» Weißt du « , bemerkte er schließlich, ohne sie einen Moment lang aus den Augen zu lassen. » Mir hat es immer leidgetan, dass wir Benton Derby nach seiner Heirat nicht mehr viel zu Gesicht bekommen haben. «
Nun war es an Sibyl, ihren Mund kurz zu einem ungewollten Lächeln zu verziehen. » Na ja, sie sind eine Weile auf Reisen gewesen « , bemerkte sie, wich dabei aber seinem Blick aus. » Ihrer Gesundheit wegen. «
» Hm. So war das also. «
Sie wartete.
» Vorher hattest du ihn ziemlich oft gesehen, wenn ich mich recht erinnere « , mutmaßte er.
» Ja, das war wohl so « , sagte Sibyl, die nicht weiter darauf eingehen wollte.
» Mit seinem Vater habe ich immer gerne Geschäfte gemacht. Das sind anständige Leute. «
» Das sind sie « , pflichtete Sibyl ihm bei.
Schweigen senkte sich über die beiden ebenso anständigen Allstons. Das Feuer knisterte.
» Er schien höchst beunruhigt über deinen Bruder zu sein, als ich heute mit ihm telefoniert habe « , fuhr Lan fort und beobachtete sie, gespannt auf ihre Reaktion.
» Ja « , erwiderte sie, wobei ihre Stimme fast etwas schrill klang. » Übrigens ist er einer der Freunde, bei denen ich heute vorbeigeschaut habe. Aus genau diesem Grunde. «
» Das erwähnte er. « Lan verzog die Lippen zu einem etwas schiefen Lächeln. Jetzt saß sie in der Falle. » Ich hätte ihn übrigens gerne selbst aufgesucht. Hatte keine Ahnung, dass er überhaupt schon aus Italien zurück ist. «
» Vielleicht hat es Harley ja erwähnt « , sagte Sibyl und schlang verlegen die Hände um die Ellbogen, weil es ihr peinlich war, durchschaut worden zu sein. » Ich meine, dass Benton wieder da ist. «
» Und wie geht es ihm? Ist Professor geworden, hat er gesagt. «
Sie überlegte kurz. » Er sieht älter aus. «
Ihr Vater nickte, die Wange immer noch in die Faust gestützt. » Witwer zu sein kann diese Wirkung haben, weißt du « , murmelte er und starrte in den Kamin.
In der Ecke, auf dem Hutständer, streckte Baiji wie ein wohlgenährter Falke seine Flügel aus und legte sie dann wieder auf dem Rücken an.
Eine Weile saßen die beiden still da und
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