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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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kaum erwarten zu erfahren, um welches Buch es sich handelt. Ich liebe Bücher, wissen Sie? Haben Sie es denn gefunden? «
    » Es heißt Le Sang de Morphée « , antwortete Harry und erhob sich. » Und ich werde Ihnen alles darüber erzählen, wenn Sie mit mir tanzen. «
    Mrs Widener unterdrückte ein erschrockenes Hüsteln, während sich Eulah mit leuchtenden Augen an Helen wandte. » Darf ich? « , fragte sie, schon halb auf den Beinen, während Harry einen Moment zu spät die Hand ausstreckte, um ihren Stuhl zurückzuziehen.
    » Aber natürlich, mein Liebes! « , strahlte Helen. » Kümmere dich gar nicht um uns! Vielleicht erwischst du sogar noch das Lied, das du so gerne magst. «
    Kichernd legte Eulah die Hand auf die von Harry und ließ sich von ihm vom Tisch wegführen, während die Musik im Einklang mit ihrer wachsenden Begeisterung anzuschwellen schien. Harry stützte sie mit fester Hand und führte sie mit ein paar geübten Walzerschritten mitten in die tanzende Menge am Ende der Empore.
    Helen seufzte zufrieden und dachte an den Kotillon zurück, bei dem sie Lan zum ersten Mal erblickt hatte. Damals hatte sie sich in dem steifen Abendkleid, das ihre Mutter für sie bestellt hatte, und der Aufsteckfrisur, die sie an jenem Abend zum allerersten Mal trug, so erwachsen gefühlt. Helen hatte ihn sofort bemerkt, noch bevor ihre Mutter sie auf ihn hingewiesen und ihr mit ärgerlicher Dringlichkeit die Vorzüge aufgelistet hatte, die ihn zur guten Partie machten. Doch Helen hatte nichts von dem gehört, was ihre Mutter sagte. Vielleicht hatte ja auch die Tatsache, dass er so viel älter war, dazu beigetragen, dass sie sogleich beeindruckt war: Sein Gesicht war braun gebrannt wie eine Nuss, und seine Augen blickten ein wenig kummervoll und erfahren in die Welt. Er hatte viele Jahre auf See verbracht, und es schien, als wäre ein Teil von ihm immer noch dort draußen auf dem Meer, unerreichbar. Helen zitterte bei der Erinnerung.
    Harry Widener war in Eulahs Augen vielleicht nicht ganz so geheimnisvoll, wie Lan es für sie gewesen war, doch Eulah besaß auch nicht Helens Faible für das Mysteriöse. Diesen Hang zum Außergewöhnlichen hatte Mrs Dee sogleich in Helen entdeckt, doch er war wie ein Funke, der nur im Geheimen leuchtete und den sie in der Öffentlichkeit sehr gut zu verbergen wusste.
    Eulah dagegen war ein Mädchen, das nach außen gewandt war. Eigenwillig, allzu schnell, wenn es darum ging, ihre Wünsche und Meinungen zu äußern. Helen hatte Sorge, sie hungere nach Leben, als wäre es etwas, das ihr zustand. Gewiss würde ein junger Mann wie Harry – gut erzogen, wohlhabend, belesen und verlässlich – ihr guttun. Vielleicht war er ja ein wenig langweilig, aber er würde Eulah auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Helen presste entschlossen die Lippen zusammen. Dann wären auch die über viertausend Dollar für die Schiffspassage nicht umsonst gewesen. Lan konnte sich noch so sehr über die Ausgaben beklagen, aber das war es wert, wenn damit wenigstens eines ihrer Kinder unter die Haube kam.
    » Le Sang de Morphée, in der Tat « , sagte Mrs Widener wie zu sich selbst, und ließ den Blick mit einem Ausdruck erhabener Langeweile über die glitzernde Szenerie schweifen, die sich ihnen bot.
    » War auch ein hartes Stück Arbeit, die olle Schwarte aufzutreiben « , brummte Mr Widener, setzte sich eine goldene Brille auf die Nase und wandte seine Aufmerksamkeit der Speisekarte aus schwerem Karton in seiner Hand zu. Auch Helen wurde aus ihren Tagträumen gerissen, um zu bemerken, dass man ihnen das Menü gebracht hatte. Austern! Nun, das war vermutlich nur angemessen. Und vielleicht war auch das ein gutes Omen für Eulahs Chancen. Helen hielt nämlich ebenso große Stücke auf gute alte Ammenmärchen und auf Aberglauben wie auf modernere Ansichten. Aha. Consommé Olga, was auch immer das war. Gedämpfter Lachs mit Sauce mousseline an Gurken.
    » Wie heißt doch gleich dieses Lied, Helen? « , unterbrach Mrs Widener Helens Gedanken mit einem sanften Stupsen ihres behandschuhten Fingers an Helens Unterarm.
    » Nun, leider weiß ich das nicht. « Helen lächelte und erhaschte einen kurzen Blick auf Eulah inmitten der Tanzenden. Sie hatte den Kopf weit in den Nacken gelegt und lachte perlend über etwas, das Harry gerade sagte. Helen fragte sich, ob sie wohl durch das immer lauter werdende Gemurmel der Tischgespräche, das Klirren von Besteck und Gläsern und das Anschwellen der Bläser des Salonorchesters

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