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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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hindurch wieder die Uhr schlagen hören konnte. Schlug sie denn überhaupt wirklich, oder bildete sie sich das nur ein? Sie schob die Frage beiseite und wandte sich erneut der Speisekarte zu, um zu sehen, welch kulinarische Genüsse der Abend noch für sie und ihre Tochter bereithielt.
    Gebratene Ente in Apfelsoße. Überbackenes Haschee mit neuen Kartoffeln. Kalte Spargelvinaigrette. Gänseleberpastete und – oh, darüber würde sich Eulah besonders freuen – Eclairs mit Schokoladen- und Vanillefüllung! Helen drehte sich auf ihrem Stuhl um und suchte inmitten der Tanzenden nach dem fröhlichen Gesicht ihrer Tochter, wobei sie in ihrer Hast versehentlich die Karte auf den Boden fallen ließ, wo sie neben dem vergoldeten Stuhlbein liegen blieb.
    Ganz oben auf der Menükarte, in vornehmer Schrift, stand der Name des herrlichen Ozeandampfers, der sie nach Hause bringen würde: TITANIC .

EINS
    Beacon Hill, Boston, Massachusetts
    15. April 1915
    M eine Güte, war die Luft stickig. Sibyl Allston spürte, wie ein Hustenreiz in ihrer Kehle hochstieg, und presste rasch ein Taschentuch an ihren Mund, um ihn zu unterdrücken. Gut, dass sie diesmal vorher einen Spritzer 4711 daraufgegeben hatte; der frische, zitronige Duft schärfte ihren Verstand und drängte die übel riechenden Dämpfe in dem Zimmer in den Hintergrund. Sie rutschte auf ihrem Sitzkissen hin und her und spürte, wie das Herz in ihrer Brust voller Beklommenheit, aber auch mit einem seltsamen Gefühl der Erregung einen Satz machte.
    Auf der anderen Seite des Tisches sah Sibyl einen ihr unbekannten Mann mittleren Alters, der offenbar ebenso wie sie von der düsteren Atmosphäre überwältigt wurde. Seine Augen waren wässrig, und die Haut hing in schlaffen Falten über seinem abnehmbaren Kragen. Seinen Namen kannte Sibyl nicht, doch vermutete sie, er wäre in der Klatschpresse leicht herauszufinden gewesen, wenn sie sich die Mühe gemacht hätte. Sibyl sah ihn gelegentlich, wenn er in einem altmodischen Brougham die Beacon Street entlangfuhr, einer der letzten Kutschen dieser Art. Stets blickten seine Augen sorgenvoll drein. Seltsam, dass sie einander immer hier begegneten, sich am Tisch stets gegenübersaßen und doch nie ein Wort miteinander wechselten.
    Mrs Dee bestand darauf. Auf absoluter Diskretion und auf absolutem Schweigen. Mrs Dee hatte eine Art, Dinge kategorisch zu bestimmen, die Sibyl überaus beruhigend fand.
    Der Salon, in dem sie alljährlich zusammenkamen, war vor einigen Jahren komplett im modernen Stil eingerichtet worden, um Mrs Dees » gefeiertem « Status gerecht zu werden. Seither war das Mobiliar geschnitztes Rokoko, schwer beladen mit allerhand Schnörkeln, wachsbleichen Früchten und Tierfratzen, die Sitze waren in scharlachroter Seide mit roten Quasten gepolstert. Im Kontrast dazu hatte man die Wände mit magentafarbener Seide in Rosenknospenmuster tapeziert, deren leuchtende Farbe durch doppelt gehängte marineblaue Samtportieren vor dem Verblassen geschützt wurde. Nur an den fransigen Kanten, die so lang waren, dass sie auf dem Boden schleiften, kam etwas Sonne durch und hellte sie auf. Der Kaminsims bestand aus schwarzem Marmor und war mit Daguerreotypien und kleinen Mineralien geschmückt, die dicht an dicht auf einer Spitzendecke lagen, eingerahmt von zwei mit Waltran betriebenen Kristalllampen auf jeder Seite.
    Auf dem Kamin stand auch eine kleine Messingschale, die wie ein Blatt geformt war und ein glühendes Stückchen Weihrauch enthielt, dessen Rauch sich langsam zur Decke kräuselte. Zwei ockerfarbene türkische Teppiche buhlten auf dem Boden um Aufmerksamkeit und wurden nur von der Vitrine an der gegenüberliegenden Wand übertroffen, die mit Porzellannippes, schäkernden Bronzenymphen und knopfäugigen, ausgestopften Vögeln, erstarrt im Flug, angefüllt war. In der Mitte dieses Sammelsuriums von Objekten, die allesamt mit einer anständigen Staubschicht bedeckt waren, leuchtete eine glasartige Kugel in einem Samtbett. Sibyl beäugte sie, ohne sich ihre Neugier anmerken zu lassen, vermutlich angezogen von ihrer makellosen Sauberkeit, denn allein dieses Objekt schien regelmäßig abgestaubt und poliert zu werden.
    Sibyl selbst hockte auf einem Fußkissen, durch das sie im Verhältnis zum Tisch in der Mitte des Raumes zu tief saß. Sie hatte die Knie angezogen und auf einer Seite abgelegt, hatte eine Hand über dem anderen Handgelenk verschränkt. Sie war schlank, besaß ebenholzschwarze Augen und dunkle Brauen, eine lange

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