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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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bohrte sich dann in sein Fleisch wie ein langer Nagel und legte sich schließlich wie ein Netz über sein Gesicht. Harlan zwang sich, die Augen aufzuschlagen. Durch einen winzigen Spalt drang Licht in die Dunkelheit, und Harlan zuckte zusammen, als ihm bewusst wurde, dass er die Augen gar nicht weiter öffnen konnte als so. Sein Gesicht war geschwollen, die Lider mit einer dicken Kruste aus geronnenem Blut verklebt.
    Harley stöhnte, ein Geräusch, das wie eine zitternde Welle aus ihm herausquoll. Der Schmerz in seiner Seite bohrte sich tiefer und tiefer. Harlans Stöhnen war auch ein Stöhnen der Scham.
    » Ist schon gut « , versuchte eine Frauenstimme ihn zu trösten, und Harley verspürte ein angenehm kühles Gefühl auf seinen geschwollenen Lidern, als ihm jemand ein feuchtes Tuch aufs Gesicht legte. Die Entdeckung, dass er in seiner Schmach und seinem Versagen nicht alleine war, vertiefte seine Beschämung. Wieder entrang sich ein Stöhnen seiner Kehle, doch er biss die Zähne zusammen. Jemand fuhr mit dem kühlen Tuch über seine Lider und wischte ihm dann sanft über Wangen und Kinnlade. Als der Stoff versehentlich an seine Lippen kam, fuhr ihm erneut ein scharfer Schmerz durch die Gesichtsmuskeln.
    Unter seiner malträtierten Haut spürte Harlan, wie er vor Verlegenheit und Selbstekel errötete. Verprügelt. Er war nach Strich und Faden verprügelt worden. Er lag auf einem Bett im Krankenhaus, ein Gefangener seiner eigenen Schwäche, und war sich vollkommen dessen bewusst, dass man sich für ihn schämen musste, was er insgeheim immer schon befürchtet hatte.
    Harley rang um Klarheit in seinem vernebelten Hirn. Ein paar Bilder zogen an seinem geistigen Auge vorüber, doch keines davon war besonders deutlich. Es war Nacht. Und da war Betty, die stämmige Betty mit ihren Sommersprossen und dem wilden Haar. Er hatte sie geküsst. Endlich. Das hatte er schon seit Jahren tun wollen. Harlan versuchte sich an einem Lächeln, doch seine Gesichtsmuskeln spielten nicht mit. Die Erinnerung an Bettys sahnigen Geschmack auf seiner Zunge verdrängte den Schmerz. Doch nur für einen Moment.
    Dann fiel es ihm mit sinnbetäubender Gewissheit wieder ein. Hatte er auch nur einen Faustschlag landen können, bevor er zu Boden ging? Eine Welle der Übelkeit schwappte über ihn hinweg, und hinter seinen Augenlidern explodierte der Schmerz in einem weißen Funkenregen. Als sich sein Gesichtsausdruck wandelte, hielt die Person – wer auch immer es war –, die den feuchten Lappen in der Hand hatte, den Atem an.
    » Nicht « , sagte die Frau. » Entspann dich einfach nur. «
    Wieder der angenehme Druck des Tuches auf seinen Augen. Es war köstlich zu spüren, dass sich jemand um ihn kümmerte. Er ließ es geschehen, sagte nichts.
    Vielleicht wusste die Frau ja gar nicht, wie es passiert war. Vielleicht dachte sie ja, er habe sich wacker und ehrenhaft geschlagen und sei nur durch unfaire oder haushoch überlegene Gegner zu Schaden gekommen oder …
    Wieder verzog er das Gesicht, und seine Scham wuchs und wuchs. Er holte tief Luft, doch der Schmerz einer angeknacksten Rippe fuhr ihm dabei mit neuer Wucht durch den Brustkorb.
    » Harley « , flüsterte die Stimme der Besucherin ganz nahe an seinem Ohr. » Bist du wach? «
    Der Ellbogen der Besucherin drückte sanft die Matratze herunter, und diese winzige Verschiebung des Bettzeugs sandte neue Schmerzwellen durch seinen Oberkörper, ließ ihn nach Luft schnappen. Eine Träne stahl sich aus seinem Augenwinkel.
    » Noch nicht « , bellte eine grimmige Männerstimme, und Harley wusste mit ernüchternder Gewissheit, wer sich noch mit ihm im Zimmer befand.
    » Papa, er hat doch eindeutig Schmerzen. Er braucht Morphium « , sagte die tröstende Stimme, hinter der er jetzt seine Schwester erkannte. Seine Verlegenheit wurde noch größer. Dass seine Schwäche ausgerechnet vor Sibyl, seiner vollkommenen und kritischen Schwester Sibyl, offenbart wurde, war schon schlimm genug. Doch nun würde er auch noch Lan Allston gegenübertreten müssen.
    » Daran besteht kein Zweifel « , stimmte sein Vater zu. Seine Stimme hatte einen Hauch von Härte und Unerbittlichkeit. » Aber nicht bevor wir herausgefunden haben, wie er sich selbst in diese missliche Lage gebracht hat. Und was er in der Sache zu tun gedenkt. «
    » Aber Papa « , begann Sibyl von Neuem. » Er ist wohl kaum in einem Zustand, um … «
    Ihr Vater brachte sie mit einem ungeduldigen Brummen zum Verstummen.
    » Ich würde gerne unter vier

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