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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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dem College begonnen hatte, würde seinen Abschluss vermutlich mit mäßigen Noten, doch einigen guten gesellschaftlichen Kontakten machen und dann eine verantwortungsvolle Stellung in der Schifffahrtsgesellschaft ihres Vaters übernehmen. Irgendwann würde er heiraten, vielleicht eines dieser pferdenärrischen Mädels aus dem Westen, die sich in letzter Zeit immer öfter an der Ostküste blicken ließen, um ihr neureiches Vermögen mit einem angesehenen alten Namen zu veredeln. Sibyl würde zu Hause bleiben, sich um ihre alternden Eltern kümmern und ganz allmählich die Leitung des Haushalts übernehmen. Möglicherweise würde sie diese Rolle sogar beibehalten, wenn Harlans pferdegesichtige Ehefrau zu sehr mit ihrer wohltätigen Arbeit beschäftigt war, um sich mit der Führung eines Haushalts oder der Erziehung von Kindern abzugeben.
    Und Eulah selbst? Sie seufzte. Nun, vermutlich hatte ihre Mutter hier einiges in petto, während Eulah selbst nie eine große Planerin gewesen war. All die Ränke, die ihre Mutter mit Sicherheit schmiedete, all die Schachzüge, die sie zweifelsohne dort am Tisch mit Harrys Mutter ausmauschelte, waren ihr vorerst gleichgültig. Eulah genoss das Hier und Jetzt. Die Musik war herrlich. Unter ihren Füßen spürte sie das Rumpeln der gewaltigen Schiffsmotoren, die den Ozeandampfer antrieben, und sie spürte die Wärme von Harrys Hand auf ihrem Körper. Sie lehnte sich ein wenig mehr an seine Schulter, betrachtete die schönen Kleider der Frauen, die sich um sie herum im Takt wiegten und sie ab und zu streiften, sah das Flackern der Kerzen. All das Lachen und die Musik um sie herum vermischten sich zu einem köstlichen Klangteppich.
    » Sie sind eine wunderbare Tänzerin « , sagte Harry in ihre Träumerei hinein, und sie spürte, wie seine Stimme tief in seiner Brust vibrierte, als er sie an sich drückte.
    » Das sollte auch so sein. « Sie grinste. » Nach all den Tanzstunden. Mutter würde sonst garantiert ihr Geld zurückverlangen. «
    Harry lachte und ließ seine Hand von ihrer Taille hinab zu ihrem unteren Rücken gleiten. Eigentlich war er selbst auch ein sehr passabler Tänzer. Besser als sie erwartet hatte. Normalerweise war es nämlich mit Bücherwürmern nicht besonders weit her, wenn es ums Tanzen ging. Unter dem Netz ihres Hütchens hervor warf sie einen prüfenden Blick auf sein Gesicht, was er vorgeblich nicht zu bemerken schien. Er sah auch besser aus als die meisten Bücherwürmer. Sie zögerte und schmiegte dann die Wange an seine Schulter, um ihn weiter führen zu lassen.
    An einem leichten Vibrieren in seiner Brust merkte sie, dass er die Melodie mitsummte.
    » Sind Sie melancholischer Stimmung? « , fragte er.
    » Ich? Nein, warum denn. Eigentlich genau das Gegenteil. Warum fragen Sie? « , murmelte sie.
    » Das Lied heißt so « , sagte er. » Ich habe mich gefragt, ob Sie my melancholy baby sein könnten. « Er sang leise mit, während sie sich im Takt wiegten, und sie spürte seine Stimme tief in seiner Kehle, als er sie in den Armen hielt.
    Eine Woge des Wohlgefühls schwappte in Kaskaden über sie hinweg. Auf ihren Armen bildete sich Gänsehaut, und sie zitterte. » Vielleicht. « Sie seufzte, drückte lächelnd ihr Gesicht an sein Abendjackett. » Vielleicht könnte ich das. «
    Eulah schloss langsam die Lider und versuchte so zu tun, als bemerkte sie nicht, wie ihre Mutter sie quer durch den Ballsaal beobachtete.

ACHT
    Massachusetts General Hospital, Boston, Massachusetts
    17. April 1915
    A ls Allererstes spürte er den Schmerz. Er war dumpf und nur schwer zu lokalisieren, doch es war Schmerz, und Harlan nahm ihn mit seltsamer Distanziertheit wahr. Es war ein Schmerz, der seinen Körper durchströmte wie Hitze, oder, besser – denn Hitze war nicht der richtige Ausdruck – ihn einhüllte wie ein Becken voller Salzwasser, das seinen Körper umschloss, das ihn trug und in Wellen mit sich zog. Harley war sich nicht sicher, wo sein Körper endete und der Schmerz begann. Er hörte ein Wimmern, das verängstigte Jammern eines Tieres, und bemerkte mit Entsetzen, dass das Geräusch aus seiner eigenen Kehle kam.
    Als er seine Lage verändern wollte, stellte er fest, dass sein Körper doch eine Begrenzung hatte, denn er lag auf einem Bett mit einer dünnen, durchhängenden Matratze. Jeder Punkt seines Körpers, mit dem er sie berührte, brachte ihn dem Bewusstsein näher, denn nun teilte sich der Schmerz auf, konzentrierte sich zuerst auf die seitliche Rippenpartie,

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