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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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Möglichkeiten nicht so vergeuden würde, wie Sibyl es getan hatte.
    » Versuchen Sie, die Gesichtskonturen des Menschen zu erkennen « , war jetzt wieder die Stimme zu vernehmen. » Die Augen. Die Nase. Die Beschaffenheit der Haut. Das Haar. Versuchen Sie, das Gesicht des geliebten Menschen so zu sehen, als würde er vor Ihnen sitzen, hier in diesem Raum. «
    Sibyl hörte, wie von verschiedenen Stellen des Tisches leise Rufe der Trauer und des Wiedererkennens kamen, und sie kniff die Augen fest zusammen, um das zu erreichen, was man ihr gesagt hatte. Dann konnte sie sich diesmal eben nicht Helen vorstellen; auch egal. Stattdessen würde sie versuchen, Eulah zu erreichen. Sie liebte ihre Schwester, so wie jeder ihre Schwester geliebt hatte, und es gab ebenso viel Anlass, sie zu erreichen wie jeden sonst. Ja, und da war Eulahs Umriss, die grobe Kontur ihres Gesichts. Ihre Augen. Ihre Nase – Moment. Nein. Ihre Nase war kleiner gewesen. Da waren ihre Grübchen. Und ihr Kinn. Sibyl presste die Lippen zusammen und konzentrierte sich noch mehr.
    » Ah! « , hauchte die Stimme. » Ich spüre, dass wir gleich Besuch aus dem Jenseits bekommen! Bleiben Sie alle ruhig und konzentriert. Sie haben nichts zu befürchten. Das alles sind unsere geliebten Angehörigen, die kommen, um ihre Weisheit mit uns zu teilen. «
    Sibyl verspannte sich, weil sie Sorge hatte, nicht die richtigen Züge von Eulahs Gesicht heraufbeschworen zu haben. Noch immer schwebte das Bild vor ihr, trat kurz in den Hintergrund und baute sich wieder auf, blieb jedoch immer verschwommen und ungenau.
    » Ich spüre, dass ein Mann im Raum anwesend ist! « , verkündete Miss Dee, und Sibyl war insgeheim erleichtert. Nun hatte sie mehr Zeit, ihre Erinnerungen zusammenzufügen. Sie fürchtete, Helen oder Eulah wehzutun, als könnten sie irgendwie in die Hohlräume ihres Denkens schlüpfen und spüren, wie unvollkommen Sibyls Erinnerung an sie war. Sie fürchtete, die beiden könnten ihre Liebe ungenügend finden, und schlotterte vor Angst bei dem Gedanken, dass sie damit recht haben könnten.
    » Sir, sind Sie hier? Können Sie uns hören? «
    Ein dreimaliges scharfes Klopfen brachte das Holz des Tisches zum Beben, und Sibyls Handrücken schlugen unsanft gegen die Tischplatte. Eine Frau schrie leise auf, und Sibyl pochte das Herz bis zum Hals.
    » John! « , rief die Frau aus der Dunkelheit. » John, das musst du sein! «
    » O Geist aus einer anderen Welt « , lockte Mrs Dees Stimme. » Kannst du uns verraten, wer du bist? Bist du gekommen, um deine Erlebnisse aus dem großen Jenseits mit uns zu teilen? «
    » John? « , wurde sie von der Stimme der Frau unterbrochen, die offenbar zu ungeduldig war, um zu warten. » Sag mir, dass du es bist! Oh, wie sehr habe ich dich vermisst, mein Liebling! «
    Wieder wurde der Tisch von dreimaligem lautem Klopfen erschüttert, und die Gruppe stieß im Chor ein staunendes » Oh! « hervor.
    » Ach, ich wusste, dass du es bist! « , rief die Frau, und ihr stockte die Stimme. » Es gibt so vieles, was ich dir sagen wollte! «
    Stille senkte sich über den Tisch, und Sibyl nahm die Spannung in den beiden Händen wahr, welche die ihren im Dunkel rechts und links von ihr hielten. Sie packte fester zu. Ganz gleich, wie oft sie an diesen Sitzungen teilnahm – die erste Manifestation schockierte sie jedes Mal.
    » Sprrrrrrich « , dröhnte eine andere Stimme, nicht die von Mrs Dee, sondern eine raue, tiefe Stimme, als wäre der Körper des Mediums viel größer geworden. Es war ein körperloser Klang, der von irgendwo über ihren Köpfen zu kommen schien.
    » Nun « , hob die Frau an und musste heftiges Schluchzen unterdrücken. » Ich … ich wollte, dass du weißt … dass ich dich schrecklich vermisst habe. « Sie hielt inne, suchte nach Worten. Alles wartete und lauschte gebannt.
    » Und Josiah – du wärst so stolz auf ihn! Er macht sich gut in der Schule. Und was für ein gesunder, strammer Junge er geworden ist! Er ist mir und seinen Schwestern eine so große Hilfe. Im Unterricht ist er einer der Besten und … « Die Frau unterbrach sich, als wäre ihr erst jetzt bewusst geworden, dass der Raum voller Fremder war, die ihrer Unterredung mit dem verblichenen Ehemann lauschten. Sie schluckte hörbar.
    » Guuuuuut! « , tönte die Geisterstimme, und alle Zuhörer seufzten, bewegt von diesem Segen aus dem Jenseits.
    » Aber John « , warf die Frau nun ein, weil ihr klar wurde, dass sich die ihr bemessene Zeit dem Ende zuneigte. »

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