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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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schwülen Nacht hatte ich erfahren, wie die Menschen auf Eros’ Geheiß Kinder machen. In dieser zweiten, schrecklicheren Nacht hatte ich erfahren, wie ich gemacht worden war, auf Geheiß der Laune einer Göttin und eines Menschen. Mir dröhnte der Kopf. Im Besitz dieses großen Geheimnisses fühlte ich mich sonderbar verwaist.
    Am Morgen des dritten Tages ließ meine Mutter mich zu sich rufen. Die Zeit bis dahin hatte auch sie offensichtlich mit Nachdenken und im Seelenzustand kämpfender Unruhe verbracht. Die tiefen, dunklen Ringe unter ihren feurig blickenden Augen zeigten, dass ihr Grübeln Körper und Seele angegriffen hatte. Sie empfing mich in ihrem Ankleidezimmer auf einer üppigen Liege, zwischen dicken, mit Wolkenwatte ausgestopften Kissen. Leidend sah sie mich an. Ihr schönes Haar fiel in ungeordneten Locken auf ihre reifen, gischtfarbenen Schultern.
    »Setz dich!«, sagte sie und zeigte auf einen Platz neben ihrer Liege.
    Sie packte fest meine Hand und zog mich herab, sodass ich nah an ihrem Bett sitzen musste. Sie hatte die göttlichen Todesstern-Augen geschlossen und schwieg lange. Dann – leise und diszipliniert, als spräche sie von den letzten Dingen – erzählte sie mir alles. Von dem Augenblick, in dem auf unserer Insel ein Mann erschienen war, halbnackt, in Fetzen, den Körper schmutzig von der Gischt des Meeres, struppig, mit herabhängendem Bart. Bewaffnet war er nur mit einem langen Schwert, das an seiner Seite hing. Mit diesem Schwert fuchtelte der Ankömmling herum.
    »Aber erobert hat er mich nicht mit dem Schwert«, sagte meine Mutter leise. »Nach den vielen elenden Menschen, die mit Schweinelauten um meine Gunst grunzten, stand endlich ein Mann vor mir. Das ist etwas Seltenes, mein Kind. Ich spürte, dass er nicht Lust nehmen, sondern Lust geben wollte. Ich erwies ihm meine Huld. Genauer gesagt: Wir erwiesen sie einander.«
    Sie setzte sich auf und stopfte sich mit der freien Hand das Kissen in den Rücken. Grimmig und streng fuhr sie fort:
    »Er hat meine Gunst missbraucht. Eines Tages verschwand er aus meinen Armen und ließ dich zur Erinnerung zurück.«
    Mit brennenden Augen sahen wir einander an. Meine Mutter drückte meine Hand, ließ sie dann jedoch los. Sie erzählte mir alles, was ich über die Herkunft und die Unternehmungen meines Vaters wissen musste. Schließlich stand sie von der Liege auf.
    »Komm mit!«, sagte sie kurz.
    Ergriffen folgte ich ihr. Die göttliche Frau ging mir mit eiligen, klopfenden Schritten voran zur Bucht. Vor Elpenors Grabhügel blieb sie stehen. Sie riss die rostige Lanze aus dem Grabhügel, nahm sie in beide Hände und prüfte sie etwas kurzsichtig. Der untere Teil der Lanze war aus Eisen, der obere aus Gold hergestellt, aus der goldenen Spitze ragte ein scharfer Rochenstachel hervor.
    »Die hat dein Vater hiergelassen«, sagte meine Mutter mit besonderer Betonung und hob die Lanze in die Höhe. Ihre goldene Spitze blitzte im Licht. »Das ist dein Erbe.«
    Wir sahen den spitzen Gegenstand an, aber ich spürte keine besondere Ergriffenheit. Schließlich war eine rostige Lanze alles, was ich – jetzt erkannte ich es – von meinem geheimnisvollen Vater geerbt hatte. Meine Mutter lächelte vieldeutig.
    »Hephaistos hat diese Lanze geschmiedet. Mit ihr hat dein Vater vor Troja gekämpft. Niemals hat er sie aus der Hand gegeben. Als er mich verließ, hat er sie mir anvertraut. Er sagte, wenn ihm ein Sohn geboren werde, solle ich sie ihm geben. An dieser Lanze wird er einst erkennen, dass es sein leiblicher Sohn ist, der auf ihn zukommt. Hier ist die Lanze, Telegonos«, sagte meine Mutter ernst und drückte mir die rostige Waffe in die Hand. »Gib diese Waffe niemals jemand anderem! Du sollst sie immer zur Hand haben. Wenn du schläfst, lege sie in dein Bett wie eine strahlende Geliebte. Solange du mit der Waffe deines Vaters in der Welt der Menschen unterwegs bist, kann dir nichts Schlimmes geschehen. Denn ich will, dass du jetzt in die Welt gehst!« Sie sprach erhitzt und mit erhobener Stimme. »Du kannst nicht länger in der heimischen Hütte sitzen. Du musst deine andere Heimat kennenlernen, die Welt der Menschen. Es ist nicht mehr nötig, dass du hier weiter die Schweine hütest …« Meiner Mutter versagte kurz die Stimme. Als sie ihre Rührung niedergerungen hatte, fuhr sie streng fort: »Du verlässt die göttliche Welt. In Zukunft lebst du bei den Menschen. Du wirst eine Waffe brauchen. Hör gut zu!« Sie hob die Lanze mit dem spitzen

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