Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
Goldene Zeitalter vorbei war und der Prozess der Verbürgerlichung in der Menschenwelt eher eine gefährliche Unternehmung darstellte. Inzwischen waren wir am Tempel der Analipsis vorbeigekommen, und an der Grenze der Stadt Sparta übergaben mich meine Begleiter den Beamten der Grenzpolizei und des Zolls. Mich überraschte die eigenartige Ordnung, mit der ich empfangen wurde. Meine Ankunft kam diesen disziplinierten Spürhunden nicht unerwartet. Sie wussten von meiner Person und gaben mir mit mechanischer Wortkargheit zu verstehen, dass ich im Palast erwartet werde.
Schon hier, am Rand der Stadt, musste ich erfahren, dass Sparta sich vollkommen abgeschottet hatte. Ich trat durch das schmale Tor, das ins Innere der von einer Steinmauer umgebenen Stadt führte, und fühlte mich mit jedem Schritt ins Innere dieses Musterstaates unwohler. Es war, als gäbe es nur stadteinwärts Spuren. Wir kamen durch enge Gassen, vorüber an bedrückend gleichförmigen, aus grauem Naturstein erbauten Wohnhäusern. Nach dem trostlosen Anblick der Vorstädte empfing mich auf dem Hauptplatz von Sparta ein umso überraschenderes Bild. Hier reihten sich Paläste aneinander, mit Vorgärten – die Häuser der Begünstigten des Staates und der siegreichen Generäle –, und unter diesen geschmückten Wohnstätten stach wiederum ein schlossartiges Gebäude mit goldenem Dach hervor. Sein Eingang wurde von Heloten bewacht, die bis an die Zähne bewaffnet waren. Sturmböcke, mächtige Steinschleudern und andere Kampftrophäen säumten den Weg zum Palast. Der Geheimsekretär übergab mich dem Anführer der Palastwache. Alles lief hier wie am Schnürchen. Die Ordnung – die furchtbare Erfindung der Menschen, von der Hermes gesprochen und die das Herz meiner flechtenschönen Mutter mit abergläubischer Angst erfüllt hatte – äußerte sich in den Institutionen von Sparta schon auf den ersten Blick mit beängstigender Vollkommenheit. Nach meinen ersten Erfahrungen dachte ich voller Heimweh an die schreckliche, aber wunderbare Unordnung, an die ich mich in der Welt der Götter gewöhnt hatte.
Man führte mich in einen abgegrenzten Flügel des Palastes. Die vornehme Einrichtung der Wohnräume verblüffte mich. Nichts erinnerte hier an die berüchtigt raue, selbstkasteiende Lebensweise der Spartaner. Die überaus anspruchsvollen Möbel, Gebrauchs- und Schmuckgegenstände – alles verkündete den Geschmack verwöhnter, überfeinerter Menschen. Außerdem war Menelaos’ Palast sichtlich mit der Beute von Troja geschmückt sowie mit Andenken, die er in den Jahren nach dem Krieg, beim Umherstreifen im Ausland und seinem Aufenthalt in Ägypten, zusammengetragen hatte. Ein in farbiges Hausgewebe gekleideter Kammerdiener mit feierlichem Auftreten eilte zu meinem Dienst herbei. Er bereitete mir ein Bad in der silbernen Wanne und erwartete dann katzbuckelnd meine Befehle.
»Führe mich zum Herrn des Hauses, zu dem strahlenden Menelaos!«, sagte ich, nachdem ich aus dem Bad gestiegen war. Der geübte Diener beendete das Trockenreiben meiner Glieder und salbte mein Haar mit wohlriechendem Öl.
Ich erfuhr, dass ich nicht die Möglichkeit hatte, sogleich vor Menelaos’ Antlitz zu erscheinen. Im Palast herrschte eine lautlose, aber strenge Hausordnung.
»Der Held von Sparta«, sagte der zu meinem Dienst befohlene Kammerdiener leise, »der Besieger Ilions, der unschlagbare Menelaos lässt dir ausrichten, du mögest geduldig warten. In diesem Augenblick kann er dich nicht empfangen, weil er seine Memoiren diktiert.«
»Was bedeutet das?«, fragte ich ärgerlich und griff unwillkürlich nach der Lanze, meinem väterlichen Erbe.
Der Diener zuckte mit den Schultern.
»Ein neuer Brauch, eine Art Mode«, sagte er. »Die meisten unserer Generäle, die am Trojanischen Krieg teilgenommen haben, schreiben jetzt ihre Memoiren. Der hehre Menelaos schreibt natürlich für die Geschichte. Andere schreiben eher nur zum Zweck der Selbstbestätigung – mit Feder und Tinte wollen sie nachträglich beweisen, warum sie irgendwo eine Schlacht verloren haben, die sie mit Schwert und Blut nicht gewinnen konnten. Unser hehrer Herr Menelaos jedoch will nur noch von der Nachwelt Lorbeeren. Leisten kann er sich dies, weil ein großer Teil der Beute von Troja in seinem Besitz geblieben ist. Die anderen Generäle wiederum, die nicht genug erbeutet haben, sind auf das Schriftstellerhonorar angewiesen. Besonders jetzt, da wir in Sparta eine Zeit der Geldentwertung erleben und man
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