Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
Halbgötter – drüben auf der Toteninsel und in der Oberen Welt – unter ziemlich zurückgebliebenen, primitiven Bedingungen lebten. In den Ställen der Menschen sah ich Schweine, zweihundert Kilo schwere Eber, die von Fett schwer in sauberen Ställen lagen, und dachte beschämt an die arkadisch schmutzige, vernachlässigte Schweinezucht meiner Mutter. Ich kam durch ein Kalkgebirge und sah, dass die Menschen mit erfindungsreicher Hand die geheimen Lager des Hephaistos erschlossen hatten und ihren wertvollen Inhalt zutage förderten: das Eisen und das Kupfer. Als ich das hohe, felsige Gebirge erklommen hatte, das die Provinzen von Lakonien und Messenien durchschneidet, stellte ich erschrocken fest, dass grau uniformierte Staatsbeamte greinende Säuglinge von den Felsen in die Tiefe warfen. Auf meine Lanze gestützt beobachtete ich die grausige Szene. Ein Mann in Uniform kam auf mich zu und fragte misstrauisch, was ich für ein wunderlicher Kauz sei, wozu ich in diese Gegend gekommen sei und was ich hier suche. Als ich sagte, dass ich den Fürsten von Sparta, den Schlachtensieger und General Menelaos besuchen wolle, wurde der Fremde sanfter.
»Sparta liegt eine halbe Tagesstrecke von hier«, erklärte er. »Wir sind Angestellte von ihm. Du kannst mit uns kommen, wenn wir mit der Arbeit fertig sind.«
Ich fasste meine Lanze fester und erkundigte mich angelegentlich, was der Sinn dieser schrecklichen Beschäftigung sei, die er – mit gleichgültigem Wort – als Arbeit bezeichne. Der Mann erklärte mir von oben herab, dass das Gebirge, auf dessen Gipfel wir stünden, den Namen Taygetos trage und sie, die Beamten – Heloten, die Staatsbürger von Sparta –, am ersten Tag jedes Monats die Säuglinge, die mit einer körperlichen Behinderung geboren seien, von diesem Felsen in die Tiefe würfen. Mein Herz, mit göttlicher Erbarmungslosigkeit nur allzu gut vertraut, erschauderte angesichts dieses mechanisch durchgeführten, offiziellen Kindermordes, dessen Sinn und Zweck nur einer sein konnte: die Durchschnittsqualität des Menschenmaterials zu verbessern und zu normen. Ich begann zu argwöhnen, dass ich in Sparta eine neue Welt kennenlernen würde – die Welt der Menschen –, die in ihrer gleichgültigen Grausamkeit nicht hinter der Weltordnung der Götter zurückblieb.
Als die Heloten ihre offizielle Arbeit beendet hatten, schloss ich mich ihnen an und zog mit der Truppe nach Sparta. Ihr Anführer, ein junger Leutnant, beantwortete unterwegs wortkarg meine vorsichtigen Fragen. Ich erfuhr, dass meine Begleiter Heloten waren, Staatsdiener, und im Auftrag einer geheimen Körperschaft, des Ephorats, auf die Jugend achtgaben, auf die Tugenden der Staatsbürger und die Feiertage und dass auch die Fremdenkontrolle zu ihren Aufgaben gehörte. Wir setzten über den Fluss Eurotas, und ich sah überrascht, dass in der Heimat der Lakedaimonier auch jetzt, Ende Oktober, noch geerntet wurde.
»Wir ernten zweimal«, sagte mein helotischer Führer stolz, »im Mai und im Oktober. Unser Bewässerungs- und Kanalsystem ist perfekt, so ersetzen wir das an Feuchtigkeit, was uns die Götter versagen. Nirgends auf der Welt gibt es eine so perfekte Landwirtschaft wie bei uns«, sagte er mit einstudiertem Prahlen.
Da das nicht völlig überzeugend klang, fragte ich, wo die Spartaner die Kunst der Bewirtschaftung gelernt hätten. Der junge Helot sah mich hochmütig an.
»Man sieht, dass du ein Barbar bist«, sagte er streng, »und unsere staatlichen Einrichtungen nicht kennst. Du sollst wissen, dass die Spartaner niemals arbeiten. Sie sind vornehm, und es ist unter ihrer Würde, etwas anderes in die Hand zu nehmen als eine Waffe. Die Hacke und die Sichel schwingen wir Heloten. Wir sind auch die fachlich ausgebildete Staatspolizei. Waffen wiederum dürfen nur Spartaner tragen.« Aus seiner Stimme klang heimlicher Neid. »Es gibt noch eine andere gesellschaftliche Klasse, die Periöken. Sie sind zwar frei, aber ihre Aufgabe in der Gesellschaft besteht einzig und allein in der niedrigen Krämerei, im Handel. Dann bin ich schon lieber Helot«, sagte er überheblich.
Seine Worte klangen nicht ermutigend. Schon meine ersten Eindrücke in der Welt der Menschen hatten mich darauf aufmerksam gemacht, dass die gesellschaftlichen Unterschiede auch hier bedeutend und die Herzen der Menschen gefährlich von Klassenhochmut und Neid infiziert waren. Ich erinnerte mich an das, was ich von Hermes erlauscht hatte, und mir kam der Verdacht, dass das
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