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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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anstelle des Silbergeldes das Eisengeld mit Schubkarren auf den Markt schieben muss, um von den gierigen Bauern Lebensmittel zu bekommen … Neuerdings, seit man für das Geld keine nützliche Ware mehr bekommt, verkaufen sich die Memoiren der Verlierer- und auch der Siegergeneräle gut. Eine Mode, mehr nicht!«, sagte der Diener geringschätzig und zuckte wieder mit den Schultern. »Seit die Griechen leben und kämpfen, ist das nach jedem großen Krieg so.«
    Mich überraschte die Bildung dieses Mannes, der so eine niedere Beschäftigung, aber so gewählte Manieren hatte. Er sprach von etwas, das mich meine Mutter nie gelehrt hatte, ja von dem ich auf der Toteninsel nicht einmal gehört hatte. Memoiren, Feder und Tinte, Geldentwertung, Honorar … All diese Begriffe wirkten Furcht einflößend auf mein jugendliches Gemüt. Mir kam die Vermutung, dass ich wieder einem der Geheimnisse der Sterblichen gegenüberstand. In meiner Verwirrtheit stellte ich mir vor, die Schrift wäre eine Erfindung der Menschen – wie der Kuss, den mich die wunderbare Skylla gelehrt hatte.
    »Was ist das: Schreiben?«, fragte ich.
    »Eine der Wahnideen«, antwortete der hochgebildete Helot, »mit der gebildete Sklaven neuerdings ihre Herren unterhalten. Ein sehr erfolgreiches Spiel. Reisende Sänger haben die Schreibregeln und die Schriftzeichen aus Phönikien mitgebracht. Wir Heloten, die wir für den Haus- und Staatsdienst eingewiesen sind, müssen schon in der Kindheit schreiben lernen.« Er seufzte hilflos. Voller Mitgefühl sah ich ihn staunend an. »Wir hier in Sparta schreiben freilich nur mit Großbuchstaben. Aber auch so ist das ein ziemlich schwerer Dienst!« Er winkte ergeben ab. »Ein paar Kilo wertloses Eisengeld sind jeden Monat unser Lohn. Und wir sind fleißig wie die Ameisen!«
    Ich konnte nicht mehr an mich halten, ich witterte ein Geheimnis.
    »Wozu ist denn die Schrift gut?«, fragte ich ratlos. »Der Mensch kann mit Lauten sprechen. Warum braucht er geschriebene Zeichen?«
    »Die Mächtigen und Reichen«, sagte der Helot, »erhoffen sich von der Schrift eine Art Unsterblichkeit. Sie glauben, die Erinnerung an ihre Person und ihre Taten lebe länger, wenn sie sie in Konsonanten und Vokalen festhalten. Außerdem kann man mit geschriebenen Zeichen leichter die Steuer bestimmen. Das ist alles«, sagte er, breitete die Arme aus und feixte spöttisch.
    Mich ergriff eine düstere Stimmung. Die Lanze fest gepackt beschloss ich, mutig den schrecklichen Erscheinungen der Menschenwelt ins Auge zu sehen, so auch der Schrift. Aber mir blieb keine Zeit zum Grübeln. Der Türvorhang wurde zur Seite gezogen, und ein keuchender Sekretär sagte hastig stammelnd zu mir:
    »Menelaos der Strahlende erwartet dich!«
    Als er allerdings sah, dass ich mit der Lanze in der Hand losgehen wollte, hielt er sie nervös fest und entwand sie meinen Fingern. Auf meinen Protest brüllte er:
    »In Sparta darf niemand mit der Waffe in der Hand das Zimmer des Staatsoberhauptes betreten. Das hat gerade noch gefehlt!«
    Von allen Seiten war ich von Argwohn, Kontrolle und eiskalten Regeln umgeben. Der Sekretär und der Helot waren schließlich stärker. Erbost, aber ohne Waffe ging ich, Menelaos zu besuchen. Wir kamen durch Säle, in denen ich die Zeichen einer sanften orientalischen Pracht sah, die beinahe weiblich wirkte. Nichts wies darauf hin, dass ich durch das Heim eines der größten, wildesten und gnadenlosesten militärischen Genies des Jahrhunderts ging. Vor einem bunten, orientalischen Türteppich blieb der Sekretär ehrfürchtig stehen und lauschte. Dann zog er mit einer Hand den Vorhang zur Seite und winkte mir, ihm zu folgen. Benommen trat ich über die Schwelle. Ich glaubte, ich käme in ein Zimmer … Aber nach wenigen Augenblicken begriff ich, dass ich in einen der gefährlichsten Räume der Menschenwelt gekommen war. Ich war in die Geschichte eingetreten.
    XII
    Durch das mit dorischen Säulen gesäumte Fenster des großen Saales, den wir betreten hatten, strömte Dämmerlicht, dessen purpurne Flammen den Raum blutrot färbten. Diese Beleuchtung passte beängstigend gut zum Heim eines großen Heerführers. Ich sah einen breiten Diwan, der mit Fellen bedeckt war. Auf dem Sofa lag mit dem Rücken zur Tür ein kleiner dicker Mann und diktierte vier Dienern näselnd die Geschichte des Trojanischen Krieges. Die Diener saßen auf orientalische Weise im Schneidersitz an der Wand und schrieben mit spitzen Geräten flinke Zeichen auf Wachstafeln. Der

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