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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Haus gehört hast, das Urteil über deinen Vater war. Jetzt ist es aber schon geschehen.«
    Mit zitternder Hand winkte er. Der Weinjunge reichte ihm sofort den Kelch. Menelaos wandte sich von mir ab und trippelte, auf seinen Stock gestützt, schwerfällig und unsicher zur Liege. Er ließ sich in die Kissen fallen und winkte, dass ich näher kommen solle. Die Sklaven, in den Händen die Wachstafeln, die die Geschichte und das Urteil über meinen Vater enthielten, trollten sich aus dem Saal. Nur der Sekretär und der Weinjunge blieben in der Nähe des Fürsten von Sparta. Verlegen trat ich vor die Liege, verneigte mich und wollte meinen Gastgeber mit einigen wohlerzogenen Worten grüßen, wie es mich meine Mutter gelehrt hatte. Aber Menelaos ließ mich nicht zu Wort kommen. Mit dem Trotz eines alten, geschwätzigen Trinkers sprach er weiter. Er erwartete keine Antwort und unterbrach sein Geschwätz, seinen gutturalen und lispelnden Vortrag, nur wenn er aus dem Kelch trank.
    »Es tut mir leid«, wiederholte er. »Du bist Ulysses’ Sohn? Ach, ach!« Seine Worte klangen wie meckerndes Gelächter. »Da bist du nicht der Erste. Es waren schon andere junge Männer hier, die sich unter diesem Namen vorgestellt haben. Alle suchten deinen Vater. An einen erinnere ich mich. Er wollte deinen Vater um jeden Preis nach Hause locken. Wie hieß er noch gleich? Tele… Tele…«
    Er stotterte weinselig. Der Sekretär, hastig und unbedacht, kam seinem Herrn zur Hilfe.
    »Telegonos!«, sagte er.
    Ich richtete mich hoch auf.
    »Ich bin Telegonos«, sagte ich mit so viel Selbstbewusstsein, wie ich in diesem Moment aufbringen konnte. Zu Menelaos’ Sekretär sagte ich: »Ich weiß nicht, von wem du redest.« Aber Menelaos beendete den Streit:
    »Telemachos!« Er blinzelte in Erinnerung. »Es war ein anderer Junge. Er hatte Ähnlichkeit mit dir«, sagte er und sah mich kurzsichtig an, »aber er war doch anders! Ulysses hat ihn Telemachos genannt. Später hat er geprahlt, wie immer und überall, er hätte schon damals den langen Krieg vorhergesehen und seinen Neugeborenen deshalb Telemachos genannt. Dieser Junge war der, der in der Ferne kämpft. Und du bist der, der in der Ferne geboren ist.« Er hielt sich die Faust an den Mund, hüstelte und lachte. »Ich verstehe. Deine Mutter ist die hehre Kirke. Ja, wir haben die Nachricht bekommen, dass du nach Sparta kommst, weil du auf einer Studienreise bist. Also sei in Zeus’ Namen gegrüßt, Junge!« Er winkte mir, dass ich mich setzen solle. Der Diener zog rasch ein niedriges Taburett hervor, und ich nahm wohlerzogen, mit dem Rücken zur untergehenden Sonne, meinem großartigen Gastgeber gegenüber Platz.
    Menelaos sah mich blinzelnd an, dann wischte er sich mit der Hand die speichelfeuchten Lippen ab. Er nickte und begann rasch zu reden.
    »Ab und an tauchen hier die umherschweifenden Söhne deines Vaters auf. Aber Ulysses selbst war schon seit Jahrzehnten nicht mehr hier. Sag deiner hehren Mutter, dass mein ehemaliger Gefährte Sparta und mein Haus sorgfältig meidet. Dafür hat er Gründe. Du hast vorhin gehört, dass ich mich streng an deinen hehren Vater erinnert habe. Ich konnte nichts anderes tun. Ich schreibe für die Nachwelt«, sagte er überheblich. »Jedes Wort muss ich sorgsam auf die Waage legen. Es tut mir leid, wenn beim Hören der Wahrheit in deinem jungen Busen die Sohnesehrfurcht einen Aufstand macht. Aber wahrscheinlich hat dich deine Mutter nicht zu mir geschickt, damit du schöne Märchen über deinen herumtreiberischen Vater hörst. Was macht die hehre Kirke?«, fragte er und schnalzte mit der Zunge.
    Mit ein paar knappen Worten setzte ich den Feldherrn über unsere heimischen Verhältnisse, den Gesundheitszustand meiner Mutter und das Ziel meiner Reise in Kenntnis. Seine tränenden Augen waren mit dem glasigen Blick alter Menschen auf mich gerichtet. Manchmal murmelte er vor sich hin, wie Trinker es zu tun pflegen. Ab und an streckte er, ohne nach hinten zu sehen, die Hand nach dem Weinkelch aus, den der Diener ihm flink reichte. Als ich fertig war, wurde Menelaos überraschend ernst. Er warf dem Diener den leeren Kelch zu, wischte sich mit der Hand über den Mund, lehnte sich auf dem Diwan zurück und sagte meckernd, aber feierlich:
    »Dein Schicksal ist nicht alltäglich, wenn es auch nicht so außergewöhnlich ist, wie deine nette und fürchterliche Mutter glaubt und wie du auch selber denkst. Trotzdem hat deine Mutter gut daran getan, dich zu mir zu schicken, damit

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