Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
Grollen in den Worten meines Mannes erstickten meine Stimme. Mit glühenden Augen sah er mich an, als wäre er tatsächlich verrückt geworden.
»Dummköpfe«, röchelte er. »Versteht doch, dass man am Ende gehen muss! Das ist das Gesetz. Je unsinniger und blöder ein Krieg, desto strenger ist dieses Gesetz. Was glaubst du, hat es jemals einen Krieg gegeben, der einen Sinn hatte? Eine Fahne oder der Unterrock einer Frau … Immer finden sich eine fixe Idee und ein Fetzen, auf dem man vereidigt wird und für den man schließlich sterben muss.«
Er schien sich plötzlich beruhigt zu haben. Mit verschränkten Armen lehnte er sich an den Türpfosten und schaute in den Sturm. Seine Gestalt war im Toben der Elemente und im Mondlicht sonderbar gewachsen.
»Ich habe immer den Wahnsinnigen gespielt, Penelope!«, sagte er offenherzig. »Das kann nicht anders sein, denn die Götter und die Menschen sind voller Irrsinn. Sie wissen nicht genau, was sie wollen. Sie wollen nur immer etwas Neues, sie wollen Veränderung«, sagte er traurig.
»Und nun, mein strahlender Gebieter?«, fragte ich. »Wen und was spielst du jetzt?«
Er wandte sich um und sagte langsam und tief klingend:
»Jetzt spiele ich nicht.« Er sah mich ruhig an. »Jetzt beende ich etwas.«
»Willst du mich töten?«, fragte ich, und aus meiner Stimme klang Hoffnung.
»Nein«, sagte er ernst. »Ich urteile jetzt über dich.«
»Alle hast du getötet«, hielt ich ihm entgegen, und mein Herz schlug dabei wie wild. »Du bist heimgekehrt. Alles und alle gehören dir. Urteile.«
»Du hast mich betrogen«, sagte er heiser.
Damit hatte ich nicht gerechnet. Vor Schreck versagte mir die Stimme. Ich wollte schreien, aber der Schrei blieb mir in der Kehle stecken. Dass Ulysses eifersüchtig war, überraschte mich. Im ersten Augenblick wollte ich um Hilfe rufen. Vielleicht – so dachte ich – ist er wirklich verrückt geworden … In diesem Moment sah ich wie im Traum, so wie ein Sterbender die zurückliegenden Ereignisse des vergänglichen Lebens ablaufen sieht, meinen Mann in all seinen Facetten. Ich sah ihn als den jungen Mann, der in Sparta scherzhaft und erhaben einen Wettkampf um Helena und mich bestritt und dann mich heimführte; der die voreingenommene, stolze und verliebte Frau in seine Heimat, das felsige und unwirtliche Ithaka, mitnahm. Ich sah ihn als jungen Ehemann und Hausherrn, der zufrieden unseren kleinen Sohn Telemachos unterrichtete. Ich sah, wie er sich vor Palamedes verstellte, und vielleicht hatte er schon damals – als er den Verrückten spielte – beschlossen, diesen verdächtigen Freund zu verraten, zu betrügen und umbringen zu lassen. Ich sah ihn, wie er den Bogen spannte, den er von Iphitos bekommen hatte, um den Pfeil durch die Ösen der zwölf Äxte zu schießen und dann die Freier zu töten. Ich sah ihn im Traum als Adler, der über zwanzig Gänsen kreist. Ich sah ihn in den Armen fremder Frauen: bei Kalypso und Kirke, bei der lispelnden Nausikaa, bei der verdächtig hilfsbereiten Leukothea und immer, auf ewig, in Sparta bei der schändlichen Helena. Ich sah, wie er mit Leukotheas Rettungsgürtel um den Bauch mit Poseidons wütenden Wellen rang und um sein Leben kämpfte. Ich hörte seine Stimme, wie er log und damit prahlte, er sei der »Bettgenosse der schönsten Frauen« gewesen. Ich sah, wie er im Bauch des Holzpferdes die Hand ausstreckte, um Menelaos und Antiklos den Mund zuzuhalten, als sie Helena antworten wollten, weil das Weibsbild die Stimmen der fernen Frauen der argeischen Helden so gut nachahmte … und wie er zusammenfuhr, als Helena meine Stimme imitierte. Ich sah ihn als Krämer, der seinen Gastgebern und Reisegefährten Gold- und Silbergeschenke abschwindelte, ich sah ihn als Helden, der mit seinem langen Schwert alles um sich herum furchtlos niedermähte … Als all das und noch vieles mehr sah ich ihn in diesem Augenblick. Das ganze Leben, meinen Mann sah ich. Und es war, als legte sich Nebel auf meine Augen. Ich begriff, dass dieser Mann in Wirklichkeit nur so wahrnehmbar war wie das sich immerfort verändernde Wasserungeheuer Proteus, das manchmal aus den Wassern von Chalkidike aufsteigt, um die Menschen mit seinen ewigen Verwandlungen zu verwirren.
Jetzt war er eifersüchtig. Der Mann, über dessen Untreue damals schon auf allen bevölkerten Inseln lange Dichtungen gesungen wurden! Mein Mann, der nach anfänglichem – vorgetäuschtem – Zögern in den Krieg gezogen war, um seine alte Geliebte
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