Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
als hätte sich auch in seiner Seele der Sturm verzogen, sprach er jetzt wieder ohne Erregung zu mir. Er traf Verfügungen. Und ich konnte mich nicht wehren. Wieder spürte ich seine Macht. Die Kraft, mit der er mich schließlich immer zwang, seinen Intrigen und Lügen nachzugeben. Die Kraft, die von ihm ausging und die für mich das Schicksal war.
»Du gehst nach Mantinea«, wiederholte er kurz. »Deine beiden Dienerinnen begleiten dich. Meine besten Ruderer bringen dich hin. Ich sorge dafür, dass die dunkelblaue Barke für dich bereit gemacht und mit allen notwendigen Dingen versehen wird.«
Und als wäre das am wichtigsten:
»Befiehl, dass deine Kleider eingepackt werden. Ich will, dass du auch in der Verbannung unter Bedingungen lebst, die deines Ranges und deines Namens würdig sind«, sagte er großzügig.
In diesem Augenblick, in dem er so gütig war, hätte ich ihn ermorden können. Mit letzter Kraft brach ich in Schluchzen aus:
»Der Tod!«, sagte ich, und meine letzten Tränen liefen mir durch die Finger. »Die Erinnyen …«
»Nimm warme Unterwäsche mit, in Mantinea sind die Nächte kühl, und gib acht, dass du dich nicht erkältest!«, sagte er freundlich im Ton des erfahrenden Reisenden und fuhr königlich fort: »Um deinen Unterhalt kümmere ich mich.«
»Lass mein Grab pflegen …«, begann ich meine Abschiedsworte. Aber er streckte den Arm aus. Lächelte. Und sagte, indem er mir befehlend, segnend und abweisend zugleich die Hand entgegenstreckte, in einem sonderbaren, spöttischen und dennoch ernsten Ton:
»Du wirst einst mein Grab pflegen, Penelope.« Er klang freundlich. »Aber bis dahin vergeht noch etwas Zeit. Ich habe dir ja schon gesagt, dass ich in deinen Armen sterben will.«
Das war das letzte Kompliment, das ich von ihm bekam. Wortlos ging er fort. Danach habe ich ihn nicht mehr gesehen, bis zu dem Tag, an dem er heimkam, um in meinen Armen zu sterben. Am Mittag des Tages, der auf unser tragisches nächtliches Gespräch folgte, verließ ich mein königliches Heim. Ich reiste aus Ithaka ab, über das graue Meer brachten mich seine Schiffer in der dunkelblauen Barke nach Mantinea. Das Meer war ruhig, die Sonne schien. Im tiefgrünen Wasser begleiteten Delfine mein Schiff.
XI
Er war nicht mit mir zum Schiff gekommen. In Ithaka herrschte zu dieser Zeit allgemein noch eine angespannte Stimmung. Eupeithos, ein geschwätziger, aber angesehener Greis – der Vater von Antinoos, einem meiner getöteten Freier – reizte die Achäer heimlich, aber auch offen zum Aufstand auf. Mein Mann hielt weitere Sicherheitsmaßnahmen für nötig. Daher verabredeten wir, dass meine Verbannung vor dem gemeinen Volk geheim bleiben solle. Für die Öffentlichkeit war ich auf Reisen, meinem Rang angemessen, mit vollem Gefolge. Nur Wenige wussten, dass zwei Mitglieder meines Begleitpersonals – der Seher Theoklymenos und der Arzt Philopator, der in Ägypten studiert und den mein Mann von Agamemnons Hof zu uns auf die Insel gelockt hatte – von Ulysses speziell für mich ausgesucht worden waren. Sie sollten auf mich aufpassen: der Dichter auf meine Seele und der Arzt auf meinen Körper. Damals schon vertraute mein Mann niemandem mehr. Am meisten gab er noch auf das Wort der Dichter, wenn diese seherische Kraft besaßen und sich auch auf den Vogelflug verstanden. Soldaten und Politiker erfüllten ihn mit Misstrauen.
Offiziell hieß es, dass ich für einige Wochen zur Erholung nach Mantinea reiste, weil ich Heilung brauchte. Mantinea war ein Gut meines Vaters, am östlichen Rand der Hochebene, zu Füßen des hohen Berges Armeniades, weit weg von jeder Stadt. Dort oben gab es duftende Wiesen, und zu jener Zeit sehnte ich mich tatsächlich nach Berg- und Waldluft. Einige glückliche Sommer meiner Kindheit hatte ich auf unseren bescheidenen arkadischen Höfen an den Hängen von Kapsia und Simiades verbracht. Eine ländliche Umgebung war dies, ohne Bequemlichkeit und Zeremoniell. Mein Vater versorgte unser fernes arkadisches Gut mihilfe seines Verwalters von Sparta aus. Der Mainalon, ein reißender Gebirgsfluss, zerschnitt unser Land; dieser kleine Fluss überflutete im Frühjahr die Wiesen der Hochebene und glitzerte im Sonnenschein des Gebirges. Jetzt, im März, als ich in Mantinea, dem lieb gewordenen Erholungsort meiner Kindheit, ankam, waren die Bäche auf der Hochebene schon zu Seen angeschwollen.
Hierher hatte mich mein Mann, der Lichtbringer, verbannt. Seine Entscheidung missfiel mir nicht gänzlich.
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