Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
Teil habe nicht das Gefühl, Ulysses’ Haus etwas schuldig zu sein.« Jetzt war er bis aufs Blut gekränkt.
»Entschuldige!«, bat ich ihn. »Du hast gesagt, wer bei Troja gekämpft hat, ist ein Held. Die anderen hingegen …«
»Große menschliche Unternehmungen können manchmal kleinliche Dinge zur Folge haben«, sagte er feierlich. »Selbst die Helden entgehen dem nicht. Vielleicht ist Ulysses tatsächlich ein Held, wie die Propaganda uns weismachen will. Vielleicht ist er aber auch nur ein Abenteurer. Und die anderen, Agamemnon und seine Gefährten, die sich in Troja manchmal feige und manchmal tapfer geschlagen haben, sind am Ende die wahren Helden, auch wenn nur die Sehnsucht nach Abenteuern, die Gier oder einfach die Langeweile sie aufs Schlachtfeld getrieben hat. Viele Männer ziehen auch freiwillig in den Krieg, weil sie von ihren Frauen genug haben«, sagte er einfach.
Verblüfft sah ich ihn an. Ich hätte nie gedacht, dass dieser brave und bescheidene Mann so überraschende Wahrheiten parat hatte.
»Du glaubst, Agamemnon und Ulysses haben sich zu Hause gelangweilt?«, fragte ich entrüstet.
Er zuckte mit den Schultern:
»Ich weiß nicht«, sagte er gleichgültig. »Jedenfalls sind sie weggegangen, obwohl sie keinen besonderen Grund dazu hatten. Und jetzt sind sie Helden. Agamemnon wurde umgebracht, und Ulysses hat, als er mit Agamemnon sprach, begriffen, dass es nicht ausreicht, ein Held zu sein … Durchtrieben, vorausschauend und unerbittlich muss man sein, wenn man am Ende als Sieger hervorgehen will. Vor allem muss man die Feinde überleben, in der Fremde wie zu Hause. Das ist der einzige wirkliche Sieg.« Aus seinen Worten klang Ruhe. »Ich verstehe es, dass Ulysses uns aus dem Weg räumen wollte; die, die wir zu Hause geblieben waren.«
»Du hast überlebt«, sagte ich vorsichtig.
»Als Nachzügler, ja.« Er seufzte. »Als Bote bin ich übrig geblieben, der von seinen toten Gefährten kündet. Dank dem unverständlichen Willen der Götter stehe ich vor dir, Penelope, um die Wahrheit auszusprechen. Ich verstehe Ulysses. Ich verstehe, dass er nicht das Schicksal seines getöteten Gefährten Agamemnon erleiden wollte und rechtzeitig alle Aigisthosse getötet hat, die in seinem Haus ihr Lager aufgeschlagen hatten, während die Achäer kämpften. Er wollte nicht, dass sie ihn ins Netz locken und zu Hause am Mittagstisch abschlachten wie ein Metzger ein Schwein. Ich verstehe, dass er keine Lust hatte, sieben Jahre lang im Hades zu warten, bis einer seiner Söhne ein Orestes wird, der ihn rächt. Telemachos ist nicht Orestes. Und Ulysses traut seinen Söhnen nicht«, sagte er plötzlich.
»Du bist großmütig und verständnisvoll, mein Freund«, sagte ich misstrauisch. »Vielleicht hast du auch davon gehört, dass der heldenhafte Agamemnon seine Mannestugend während seiner Abwesenheit nicht nur auf dem Schlachtfeld stärkte, sondern auch in Kassandras Bett.«
»Kassandra war Jungfrau!«, sagte Amphinomos scharf.
»Und Seherin und Prophetin«, nickte ich. »Darüber wissen wir in der Familie Bescheid. Als sie mit Helenos in Apollons Tempel schlief, haben ihr die Schlangen die Ohren geleckt, und da begann sie – in wollüstiger Erregung – himmlische Botschaften zu hören … Verzeih mir, wenn ich etwas gewöhnlich bin.« Meine Stimme zitterte. »Aber das ist die Wahrheit. Und diese lüsterne Halbjungfrau hat man nach der Einnahme Trojas dem Helden Agamemnon als Ehrengeschenk für sein Bett im Lager angeboten! Klytaimnestra hat vielleicht auch davon gehört.« Ich versuchte, überlegen zu bleiben.
Doch Amphinomos zuckte nur störrisch mit den Schultern:
»Kann sein«, sagte er. »Aber das ist noch kein Grund, sich einen Liebhaber zu nehmen, während der Mann kämpft, und dann den heimkehrenden Helden abschlachten zu lassen wie ein Stück Vieh. Weißt du, dass sie die Leiche ihres Mannes liegen lassen hat, ohne ihm die Augen oder den Mund zu schließen?«
»Das war nicht sehr zartfühlend von ihr«, sagte ich. »Wenn man jemanden umbringt oder umbringen lässt, dann gehört es sich, ihm Mund und Augen zu schließen. Wir in Ithaka haben darauf immer geachtet.«
»Ihr in Ithaka!«, rief Amphinomos. »Du weißt nicht, Penelope, wie schlecht die Welt ist und wozu Frauen und Männer fähig sind. Aber Ulysses hat die Welt kennengelernt. Und er wollte nicht, dass es ihm geht wie Agamemnon.«
»Glaubst du?«, frage ich leise. »Kannst du dir vorstellen, dass er sich gefürchtet hat, heimzukommen?
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