Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
Vom Netzwerk:
Amphinomos erwartete mich schon.
    Er saß im Gemeinschaftsraum in einem glatt geschliffenen Sessel aus Marmor, aus dem er mit der Schwerfälligkeit eines Kranken aufstand, um mich zu begrüßen. Er überreichte mir einen Strauß von Asphodelus und lächelte traurig. Seine körperlichen und seelischen Leiden hatten ihn abnehmen lassen. In diesem veränderten körperlichen Zustand wirkte er nicht unvorteilhaft. Ich nahm die Blumen entgegen, setzte mich ihm gegenüber Platz und hob den Strauß an die Nase, um den erlesenen, aber bitteren Duft der Blumen einzuatmen.
    Amphinomos sah mich müde und ernst an.
    »Weißt du«, sagte er missgelaunt, »dass die Wiese, auf der Minos über die Toten Gericht hielt, voller Asphodelus war?«
    »Ich weiß.« Ich nickte. »Diese Blume erinnert uns daran, dass wir vergänglich sind und dass alles vergänglich ist, was mit uns geschieht. Deshalb mag ich sie.«
    »Ihre Farbe erinnert an die blassen Lichter des Hades. Ich war nah daran, dort Blumen für dich zu pflücken, Penelope«, sagte mein verwundeter Freund leise. »Erzähle«, fuhr er dann dumpf fort, »was ist geschehen?«
    Ich berichtete ihm alles. Sehr aufmerksam hörte er zu. Als ich Eurymachos’ Namen nannte, brauste er auf.
    »Es stimmt also!«
    »Es stimmt nicht«, rief ich aufgebracht. »Ich weiß, wer diese Verleumdung verbreitet. Glaubst du es etwa auch?«
    Mein Herz floss über vor Enttäuschung und Bitterkeit. Da saß ich hier in der Verbannung, und der einzige Mann, den ich noch gern sah, quälte mich ebenso mit seiner Eifersucht wie mein Mann, der mich in diese unheilvolle Lage gebracht hatte. Damals kamen mir schnell die Tränen.
    »Viele haben es gesagt«, flüsterte er finster. »Ich wollte ihnen nicht glauben. Ich habe dir vertraut, Penelope«, sagte er bitter und großzügig. »Ich habe dir allen Klatsch verschwiegen. Auch den schrecklichen.« Mit gesenktem Kopf betrachtete er die Spitzen seiner Sandalen. »Die Menschen haben eine schmutzige Phantasie. Hermes hat mehrfach in deinem Haus geschlafen …« Er verschluckte das Wort.
    Das war zu viel. Ich vergrub das Gesicht in dem Asphodelosstrauß, damit er meine Empörung nicht bemerkte. Als wir einander wieder ansahen, glaubte ich in seinen Augen dasselbe wahnsinnige Glühen zu erkennen, das mir in der Nacht zuvor schon bei Ulysses aufgefallen war.
    »Du hast es geglaubt?«, fragte ich ruhig.
    »Nein«, erklärte er entschieden. »Aber jetzt kann ich es ja sagen … Nicht nur in deinem Hause haben die Klatschbasen und Schwätzer geredet. Auch in Doulichion hat man mich mit dieser hinterhältigen Nachricht empfangen. Das Festland und die Inseln sind voll von missgünstigem Klatsch. Sie sagen, dein Mann sei nach Hause gekommen und habe erfahren, dass Hermes während seiner Abwesenheit mehrfach in eurem Haus geschlafen hat. Angeblich hast du diesem herumschweifenden Gott im Geheimen sogar einen Sohn geboren, diesem Parteigänger der Diebe und Politiker.« Hasserfüllt sah er mich an. »Sein Name soll Pan sein. Hast du davon auch nichts gehört?«
    »Mein armer Freund«, sagte ich. »Mit so etwas quälst du dich? Reicht nicht die schreckliche Lage, in der wir alle schmachten? Sprechen wir von etwas anderem. Heilt deine Verletzung?«
    Aber er wollte nicht von etwas anderem sprechen.
    »Schwöre«, ächzte er, »dass du weder mit Hermes noch mit Eurymachos ein Verhältnis hattest!«
    Mir fuhr durch den Kopf, dass Ulysses recht hatte: In jedem Menschen steckt ein Verrückter, der manchmal hinter der normalen, alltäglichen Verkleidung auftaucht. Amphinomos hatte ich immer für einen Menschen gehalten, der einen nüchternen Verstand besaß. Seine Kenntnisse der Landwirtschaft, seine sanfte und freundliche Art hoben ihn vorteilhaft von der Mehrzahl meiner Freier ab. Und dieser sachliche Mann litt jetzt ebenso unter den Qualen der Eifersuchtsfurie, wie Ulysses gelitten hatte. Ich wusste jedoch, dass Amphinomos aufrichtig litt. Während Ulysses nur so tat und die Eifersucht vortäuschte, weil er mich – wie ich hoffte, nur für einige Zeit – los sein wollte, um eine seiner verdächtigen neuen Unternehmungen in Angriff zu nehmen. Sofort nach seiner Heimkehr hatte er davon gesprochen, dass er im Sinne von Teiresias’ Prophezeiung gezwungen sein würde, sich bald wieder auf den Weg zu machen in ein Land, wo man das Salz nicht kennt. Er sagte, er wolle in Thesprotien Salz verkaufen. Schon das erfüllte mich mit Argwohn. Früher hatte er sich nie mit dem Salzhandel

Weitere Kostenlose Bücher