Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
Schicksal, zu dem mein Mann mich verurteilt hatte, in Warten und Alleinsein bestand und dass kein Geliebter, kein Kind und kein Freund mich von diesem Los erlösen konnten. Nur er, auf den ich vergeblich wartete. Es folgten trostlose Monate in Mantinea. Der Arzt trank viel, der Dichter bedrängte meine Dienerinnen mit seiner Liebe und seinen Gedichten. Den ganzen Tag verbrachte ich allein in den öden Sälen meines väterlichen Hauses. Handarbeit und Gewebtes konnte ich damals schon nicht mehr sehen. Ich wartete auf mein Kind und lebte in Erinnerungen.
Der Frühling kam früh, die Gebirgsbäche schwollen an. Der Inachos floss bei Tag und Nacht mit großem Getöse vor meinem Fenster vorbei. Der Fluss Mainalon war über die Ufer getreten, seine schmutzigen Wogen brachten Felsen ins Rollen, als machten herumtreibende Kyklopen einen Ausflug zu den himmelhoch aufragenden Gipfeln des Armeniades. Die Nächte wurden kürzer, morgens schwebte lauer Nebel über den Wiesen. Vor Einsamkeit sah ich Gesichter und Erscheinungen. Ich hörte das Herz des Kindes, wie es mit dem meinen um die Wette schlug, und dachte, dass Ulysses kein Glück mit seinen Kindern hatte. Vielleicht wollte er sie deshalb immer töten.
Ich glaubte, das Gesicht meines Mannes jetzt klarer zu sehen und auch etwas von seinem Wesen zu begreifen. Gewiss lag in seinem Wesen etwas Göttliches. Auch in seiner irdischen Gestalt. Er bewahrte sich – wie eine vererbte, besondere Fähigkeit – seine göttliche Abstammung. Aber ebenso gewiss war er nicht von solch einem Dämon besessen wie die Dichter, Priester und Künstler, in denen das Volk das Überirdische wittert. Ulysses hatte sein Wesen der Erde hingegeben und empfand kein Heimweh mehr nach dem Olymp. Auch in einer Höhle oder in der Gesellschaft einer irdischen Frau fühlte er sich heimisch. Die irdische Beute versetzte ihn eher in Unruhe als die Aussicht auf jenseitige Freuden. Einen Becher Samoswein schlürfte er lieber als einst den Nektar. Offenbar war es sehr interessant, Mensch zu sein. Mein Mann hatte gewählt … Er erinnerte sich an seinen göttlichen Ursprung, aber nur so, wie ein Verbannter an die Heimat denkt, wenn er in der Fremde eine neue Heimat gefunden hat, in der er sich rundum wohlfühlt.
Weil es meinem Gesundheitszustand und meinem Gemüt förderlich war, ging ich in den kühleren Stunden auf den gewundenen Gebirgswegen von Kapsia und Simiades spazieren. Meist begleitete mich der Dichter. Ich erinnerte mich – ich hatte es noch in Ithaka nebenbei erwähnen gehört –, dass Agamemnon zur Aufsicht über Klytaimnestra damals auch einen Dichter bestimmt hatte. Die Ähnlichkeit der Situationen und Personen ließ mich nachdenklich werden. Ich musste daran denken, dass Amphinomos die Wahrheit gesprochen hatte: Ulysses fürchtete sich wirklich vor mir, vor der Familie, vor seinen Söhnen, vor allen, von denen er glaubte, dass sie ihn mit einem Gefühl, einer Leidenschaft oder einer Situation knebeln könnten. Ich bemühte mich, meinen Mann zu verstehen, jetzt, da ich Grund hatte, ihm zu zürnen. Aber ich konnte ihm nicht wirklich böse sein, und das beunruhigte mich.
»Kein Wunder«, sagte gleichgültig der Dichter, dem ich auf einem unserer Gebirgsspaziergänge mein Herz ausschüttete. »Du kannst deinem Mann nicht böse sein, weil du ihn nicht mehr liebst.«
Er sagte das so gleichmütig, als verkündete er der Welt eine alte und allgemein bekannte Wahrheit. Erschrocken sah ich ihn an. Konnte es sein, dass die Dichter doch Geheimnisse wissen? Ja, es hatte eine Zeit gegeben, in der ich Ulysses böse war, weil ich ihn noch liebte. Jetzt wartete ich nur noch.
Das Kind kam im siebten Monat zur Welt, zu Herbstbeginn. Es war eine Frühgeburt: Aus in der Sonne getrockneten Riedblättern flochten wir ihm einen Korb und wärmten so seinen dünnen kleinen Körper. Ich beugte mich über den Korb und sah mir das Gesicht des Ankömmlings lange an. Mein Stolz verbot mir, meinem Mann von dem Ereignis Nachricht zu senden. Außerdem wusste ich nicht einmal, wo er sich aufhielt. Aus Ithaka bekam ich in diesen Monaten nur selten Nachricht. Manchmal erschien Eumaios mit Schiffern und brachte alles, was ich in meiner dörflichen Umgebung brauchte. Von ihm hörte ich, dass die Wirtschaft daheim zerfiel, weil mein Mann kurz nach meiner erzwungenen Abreise die Insel verlassen hatte. Wieder war die Aufsicht über die Wirtschaft an Mentor und den alten Dolinos gefallen. Doch den beiden, starrsinnigen alten Dieben
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