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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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anderes tun. Am Ende der echten Geschichten, in den Sagen und im Leben, muss man töten, viele und wahllos. Das ist die Ordnung der menschlichen Geschichte. Agamemnon, hast du gesagt!« Er seufzte. »Dein Mann hat ihn im Hades getroffen, bevor er sich auf den Weg machte, um in Ithaka Ordnung zu schaffen. Stell dir das nur vor, Penelope! Auch ein Mann mit ruhigeren Nerven wird aufgeregt, wenn er sich diese Begegnung vorstellt! Die Zeit, die uns die Götter zu leben bestimmt haben, ist etwas ganz Besonderes. Sie ist voller Schicksale, von denen die Menschheit vorher noch nie gehört hat. Man muss Ulysses verstehen, wenn er zu morden beginnt, nachdem er die Seele von Menelaos’ Bruder wiedergesehen und die Einzelheiten der schrecklichen Geschichte gehört hat. Mykene oder Ithaka … der Schauplatz ist gleichgültig. Schließlich waren sie Gefährten, haben zusammen gekämpft. Ja, einmal war Agamemnon in der Schlacht feige und wollte fliehen! Nur auf Diomedes’ Anstoß hin ist er wieder aufs Schlachtfeld zurückgekehrt. Davon hat dein Mann nicht gesprochen?«, fragte er beiläufig und schadenfroh.
    »Was du nicht sagst!«, rief ich. Auch in meiner bangen, bedrängten Situation hörte ich den Klatsch aus Argos gern. »Agamemnon war feige?«
    »Man muss das Andenken der Helden ehren und pflegen«, sagte Amphinomos ernst, mit etwas wichtigtuerischem Ton. Er sprach feierlich und belehrend, wie ich es von den Griechen noch nie gern gehört habe. Alle Söhne dieses Volkes hatten den Hang, in vertraulichen Augenblicken Reden zu schwingen, als hätten sie im öffentlichen Interesse das Wort ergriffen. »Die Moral des Volkes lässt nach. Man darf ihm die Gelegenheitshelden und den Siegeslorbeer nicht nehmen. Auch das religiöse Gefühl lässt nach … Wir sprechen unter vier Augen. Ja, Agamemnon war feige in der Schlacht.«
    »Das ist sehr interessant«, sagte ich eifrig. »Und Ulysses?« Unwillkürlich beugte ich mich im Sitzen nach vorn. »Hast du über ihn auch etwas Neues gehört?«
    Amphinomos ächzte, als quälten ihn körperliche Schmerzen. In Wirklichkeit stöhnte er immer auf, wenn ich in seiner Gegenwart den Namen meines hehren Mannes erwähnte.
    »Ihn umgibt ein Heiligenschein«, sagte er spöttisch. Dann fuhr er ernst fort: »Penelope, wir, die Zeitgenossen, können nicht alles, was damals passiert ist, sachlich beurteilen.«
    »Du sprichst von Helena?«, fragte ich giftig.
    »Ich spreche vom Trojanischen Krieg«, antwortete er ernst. »Große Kriege haben manchmal unbedeutende Auslöser. Und die in ihnen kämpfen, sind nicht immer wahre Helden. Aber alles, was die besten Söhne unseres Volkes vor Ilion getan haben – egal, ob aus freiem Willen oder gezwungen, feige oder heldenmütig –, dient dazu, die männlichen Tugenden unserer Söhne zu stärken und das Andenken aller, die an diesem Kampf teilgenommen haben, mit unvergänglichem Schein zu vergolden.«
    Er sprach wie die Vorsänger bei den Festspielen zu Ehren des Dionysos in Eleusis: mit singender, gedehnter Betonung. Diese hochtrabende Redeweise war ein unverbesserlicher Fehler aller Argeier.
    »Du meinst«, fragte ich erregt, »dass Helena Menelaos mehrfach betrogen hat, trägt dazu bei, in unseren Jungen die Mannestugend zu stärken und die Nachwelt mit Bewunderung zu erfüllen?«
    »Ich meine«, erwiderte er trotzig, »dass alles, was während der Belagerung von Ilion geschah, in seinen Einzelheiten bedauerlich und voller menschlicher Schwäche sein kann. Die Tat an sich ist jedoch heldenhaft«, sagte er starrsinnig mit der hoffnungslosen Beschränktheit, mit der Männer von solchen Dingen sprechen.
    »Kann sein«, sagte ich nachgiebig und mimte Einverständnis. »Ich bin eine Frau, mein Verstand und meine Phantasie sind von geringem Wert. Jedenfalls überrascht es mich, mein Freund, dass gerade du die Helden Trojas preist. Du bist nicht in den Krieg gezogen.« Diese hämische Bemerkung konnte ich mir nicht verkneifen.
    Wieder zischte er.
    »Irgendjemand musste daheimbleiben«, sagte er erregt und bemühte sich, überlegen zu bleiben. »Ich wurde in Doulichion gebraucht.«
    »Auch in Ithaka warst du ein gern gesehener Gast«, sagte ich boshaft höflich. »Während Ulysses gekämpft hat …«
    »Wir, die Freier, haben in seinem Haus herumgelungert und sein Vermögen verprasst, nicht wahr?«, fiel er mir ins Wort. Erfreut hörte ich die Gekränktheit in seiner Stimme. »Du weißt genau, Penelope, dass die Wahrheit anders aussieht. Jedenfalls ich für meinen

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