Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
wieder sein Gesicht mit den Händen, wie jemand, der sich selbst der Erinnerung schämt. Im Saal hörte das erregte Rauschen nicht auf. Auf Echenos’ kreischende Fragen musste ich – verlegen und beschämt – gestehen, dass ich auf der Insel Ithaka von keinerlei Befehl gehört hatte, dass eine größere Salzlieferung nach Scheria abgehen solle. Ich wagte nicht, davon zu sprechen, dass mein strahlender Vater das Salz, für das die Phaiaken bereits bezahlt hatten, später noch einmal verkauft und nach Thesprotien transportieren lassen hatte. Als ich die Empörung der Phaiaken sah, bedauerte ich schon, dass mich das Sohnesinteresse und die Ehrfurcht auf die Insel Scheria geführt hatten. Ich hatte den Verdacht, dass ich hier nichts Gutes über meinen Vater erfahren würde.
Nach kurzer Zeit begann Alkinoos wieder zu sprechen.
»Wir sind Männer und Kaufleute«, sagte er mit finsterer Würde. »Wir wollen achtgeben, dass der Fremde, der sich auf unsere Insel verirrt hat, nicht unseren jammervollen Ruf in die Welt trägt. Rinder«, sagte er streng und wandte sich mir zu, »geben wir Fremden nach diesen Erfahrungen nur gegen Bargeld. Das darf dich nicht verwundern, Wanderer!«
Mehrere alte phaiakische Rinderzüchter stimmten seinen Worten lautstark zu. Verlegen murmelte ich, dass ich die Gesetze des Handelslebens kenne und meinen Zahlungspflichten immer nachgekommen sei. In Wirklichkeit zerbrach ich mir den Kopf darüber, wie ich möglichst schnell von dieser Insel verschwinden konnte, wo mein Vater so gefährliche Erinnerungen hinterlassen hatte. Alles, was ich erfahren hatte, riet mir davon ab, meine Identität aufzudecken. Halios, der etwas einfältig blickende, bärtige Prinz – er hatte die unsympathische Gewohnheit, in seiner Wut selbstvergessen an seinem Daumennagel zu kauen –, nahm jetzt den Daumen zwischen den Zähnen heraus und rief:
»Hier hat er gesessen und angegeben!« Er zeigte auf die Mitte des Saales, wo ein Lehnstuhl aus poliertem Gold auf einem prächtigen Perserteppich stand. »Raffgierig war er auch. Ich habe selbst gesehen, wie er die Truhe, in der er die zusammengelogenen und erschlichenen Edelmetalle transportierte, auf dem Schiff mit einem langen Seil festband und mit einem Wachssiegel verschloss. Mit seinem Ring siegelte er das Wachs. Auf dem Ring war ein Zeichen …«
»Ein Delfin«, sagte ich unwillkürlich.
»Ja, ein Delfin!«, brüllte Halios. »Oha!« Er spuckte aus. »Woher weißt du das?«, knurrte er dann argwöhnisch.
Alle wandten sich mir zu, mit fragenden und misstrauischen Blicken. Nausikaas Augen wurden groß und strahlten. Ich spürte, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Ulysses trug auf Ring und Schild den Delfin als Wappenzeichen. In meiner Kindheit ist mir einmal ein Unglück zugestoßen – ich fiel in der Bucht von Ithaka ins Wasser und konnte noch nicht schwimmen –, und die Delfine retteten mich. Zum Dank wählte mein Vater den Delfin als Zeichen für Schild und Siegelring. Und jetzt hatte ich mich verplappert.
»Das habe ich in Ithaka gehört«, flüsterte ich.
Alkinoos prüfte mich mit stechendem Blick. Dann erhob er sich von seinem Thron, als wollte er ein Urteil verkünden. Alle im Saal standen auf. Der Lärm und das Rumoren hörten auf. Der edle Mann sagte höflich, aber streng:
»Du kommst aus Ithaka, und nach allem, was du gehört hast, ist auf unserer Insel niemand erwünscht, der von diesem unseligen Ort kommt. Ich frage dich nicht aus, wer du bist, und ich frage auch nicht, mit welchem Ziel du in Wirklichkeit zu uns gekommen bist.«
Die Worte des Fürsten wurden mit zustimmendem Murmeln aufgenommen. Alkinoos fügte hinzu:
»Es tut mir leid, dass du nach den geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen des internationalen Handels und Fremdenverkehrs nicht für längere Zeit Gast auf unserer Insel sein kannst. Warte!« Als ich eine gekränkte Bewegung machte, hob er die Hand. »Du weißt noch nicht alles. Mein hehrer Vater Nausithoos hat mich davor gewarnt, einen Wanderer aufzunehmen, der den Sohn des Erderschütterers Poseidon geblendet und den Zorn des Meeresgottes auf sich gezogen hat. Ich habe nicht auf seinen Rat gehört. Meine Mildherzigkeit habe ich bitter bereut. Weißt du, dass Poseidons Rache schrecklich war? Wissen sie da drüben in Ithaka, dass mein bestes Schiff vernichtet ist und jetzt hier, zu Stein erstarrt, im Hafen liegt, als ewige Mahnung? Weißt du, dass der rachsüchtige Poseidon, als die phaiakischen Schiffsleute entgegen seinem
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