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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Verbot den gefährlichen Wanderer heimgeleiteten, beinahe diese Stadt zerstört hätte? Die Erde bebte, ein Berg erhob sich aus dem Meer und wäre vielleicht auf unsere Stadt gestürzt, wenn ich nicht dem Erderschütterer rechtzeitig das Hundertopfer dargebracht hätte.«
    Verlegen murmelte ich, dass ich über diese bedauerlichen Folgen von Ulysses’ Heimkehr nichts wisse. Klytoneas, der bisher geschwiegen hatte, brüllte erregt:
    »Es war unser bestes Schiff, das Poseidons Rache zerstörte wegen des Mannes aus Ithaka! Es war schneller als ein Gedanke! Es brauchte keinen Steuermann! Es konnte auch im Nebel fahren! Es kannte von selbst die Seewege und das Ziel!«
    Diese Vorwürfe, diesen prahlerischen Lobpreis des Verlorenen, quittierten die Phaiaken mit zustimmendem Murren. Aber ihr Kopfnicken, das Zwinkern ihrer schlauen Augen, jener Zug um ihre fleischigen Nasen, der ihre Raffgier verriet, brachten mich dazu, ihre Klagen mit vorsichtigem Zweifel zu hören. Wahrscheinlich wollten sie nur vor dem Fremden aus Ithaka den Wert des verlorenen Schiffes erhöhen, denn auch ihre Schadenersatzansprüche – die sie wenig später tatsächlich bei unserem Verwalter Mentor auf der Insel Ithaka einreichten – garnierten sie mit diesen verlogenen Übertreibungen. Das Schiff, auf dem die Phaiaken meinen Vater heimgebracht hatten, war ein gewöhnlicher Zweimaster, der später tatsächlich im Strudel eines plötzlich aufgekommenen Sommersturmes zerstört worden war. Deshalb sagte ich vorsichtig nur, dass ich nicht berufen sei, im Namen der Männer von Ithaka Versprechungen abzugeben, dass ich aber nicht an der Bereitschaft der Achäer zweifelte, Schadenersatz zu leisten. Meine Worte wurden von mehreren alten Phaiaken mit spöttischem, grunzendem, rülpsend klingendem Lachen begleitet. Mit Bedauern stellte ich fest, dass die Achäer – vielleicht gerade wegen ihrer Plünderungen während des Trojanischen Krieges – keinen allzu großen Handelskredit in der Welt hatten. Deshalb – und weil Alkinoos’ Haltung unmissverständlich zeigte, dass meine Anhörung zu Ende sei – verbeugte ich mich tief und bat um Erlaubnis, mich zu entfernen.
    Zum Abschied wurde Alkinoos sanfter. Forschend sah er mich an: als hätte er etwas verstanden. Mein Auftreten war nicht gänzlich ergebnislos geblieben. Meine Verbeugung erwiderte er mit einem Nicken, dann winkte er einem Kammerdiener, und während er mit seinem Gefolge zum Ausgang schritt, befahl er, mich vor meiner Abreise zu bewirten. Die Prozession zog weg, und ich blieb in dem prächtigen Saal allein mit den Lanzenträgern. Mit verschränkten Armen stand ich dem leeren Thron gegenüber. Ich spürte, dass mein Gesicht vor Scham glühte. Eine Strähne klebte mir an der verschwitzten Stirn. Jeder Tropfen meines königlichen Blutes protestierte gegen die Erniedrigung, die ich gerade erfahren hatte. Ja, ich war verkleidet gekommen, hatte mich verstellt, mich die verschwommenen Fußspuren meines Vaters entlanggeschlichen. Ich konnte niemandem Vorwürfe machen. All das, was ich gehört hatte – das Auftreten und Benehmen meines Vaters auf der Insel Scheria, seine nicht eingelösten Versprechen, sein Prahlen, sein verdächtiges Verhalten im Zusammenhang mit der Salzlieferung –, all das hatte, wie ich mir eingestehen musste, zu Recht das Misstrauen der Phaiaken gegenüber jedem geweckt, der aus Ithaka kam. Aber die Kränkung schmerzte dennoch. Der Kammerdiener trat zu mir und gab mir zu verstehen, dass Alkinoos mich nicht hungrig von der Insel gehen lassen wollte. Diener kamen und brachten ein rundes, goldenes Tischchen, über das sie eine gewebte Purpurdecke breiteten, und Silberschüsseln, in denen wohlschmeckende Speisen, ausgewählte Gänge sich reihten. Kühl sagte ich, dass ich von der freundlichen Einladung keinen Gebrauch machen möchte, und winkte den Lanzenträgern, mich zurück zu meinem Schiff zu begleiten.
    Der Kammerdiener verneigte sich verlegen und murmelte bittende Worte. Voller Genugtuung sah ich, dass mein Verhalten nicht ohne Wirkung blieb: Das unfreundliche und unhöfliche phaiakische Volk sollte ruhig lernen, dass es auch in Ithaka echte Herren gab. Die Speisen auf dem gedeckten Tisch blieben unberührt. Ich machte mich mit meinem Gefolge zum Aufbruch bereit, als sich einer der farbenfrohen Türvorhänge des großen Saales bewegte. Weiß und geschmeidig, mit seitlich geneigtem Kopf im hellgrünen Seidenkleid, das mit blausilbernem Glimmer glänzte wie der Schuppenleib der

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