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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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sein bezauberndes Wesen das Misstrauen der Phaiaken besiegt hätte –, sondern dass er sich für die Heimkehr entschieden hatte. Und dann war er wieder fortgegangen … Während ich zwischen meinen Wächtern einherging, konnte ich einen sorgenvollen Seufzer wegen dieser geheimnisvollen Widerspüchlichkeit nicht unterdrücken. Vielleicht würde ich – so hoffte ich – auf dieser reichen Insel endlich etwas Wahres über die Absichten meines Vaters erfahren. Schließlich war dies das Land, in dem mein Vater zum letzten Mal in der großen weiten Welt ausgeruht hatte, bevor er von seinen langen Irrfahrten heimkehrte. Hermes und noch ein göttliches Wesen: die Tochter des Kadmos, die Göttin des Meeres, die böotische Leukothea – hatten gemeinsam vorhergesagt, dass hier ein Abschnitt der Irrfahrten des Lichtbringers zu Ende gehen würde. Deshalb sagte ich, als ich vor Alkinoos trat, nach der Begrüßung und dem Murmeln allgemeiner Höflichkeiten, ohne Umschweife:
    »Alkinoos, Held von heiliger Kraft! Jetzt verstehe ich, dass alles, was ich über die Pracht deines Reiches und deines Palastes überall auf meinen Wanderwegen, zuletzt auf der Insel Ithaka, gehört habe, neben der Wirklichkeit verblasst.«
    Alkinoos war ein dicklicher Mann mittleren Alters. Um die Stirn trug er einen Kranz aus Ölblättern. Seine Gesichtshaut glänzte ölig, aus seinen schwarzen Augen leuchteten die Strahlen des Verstandes. Die wohlwollende und natürliche Würde seines Wesens und seiner Sitten wirkte berückend und nötigte mir Achtung ab. Offenbar war er ein Mann, der im Privatleben und in seinem Reich die Ordnung und Ruhe liebte. Aber bei der Erwähnung Ithakas sprang er auf, hob aufgeregt die Arme hoch und rief atemlos:
    »Du kommst aus Ithaka?«
    »Unterwegs hat mein Schiff auch diese liebliche und bescheidene Insel berührt«, antwortete ich vorsichtig, denn ich sah, dass er sich über die Maßen aufregte.
    In dem großen Saal, dessen Wände reich vergoldet waren, erwachte auf meine Worte hin eine sonderbare Erregung. Alkinoos fiel in seinen Lehnstuhl zurück und klatschte zweimal. Kammerdiener liefen, prächtige Türvorhänge flatterten, und Diener reihten sich am Fuß der Säulen auf, als bedeutete die Erwähnung des Namens Ithaka eine Gefahr in diesem großherrschaftlichen und friedlichen Heim. Ein Kammerdiener fiel vor Alkinoos auf die Knie.
    »Wo sind meine Frau und meine Tochter?«, fragte mein Gastgeber.
    »Die weißarmige Arete«, antwortete der Kammerdiener immer noch in hockender Stellung, »und die jungfräuliche Prinzessin Nausikaa halten sich im Garten auf und hören dem Lied der buntgefiederten Vögel zu.«
    Alkinoos hatte sich inzwischen etwas beruhigt. Im beherrschten Ton eines Mannes von Welt sagte er höflich:
    »Ich lasse die Damen bitten!« Der Kammerdiener schickte sich an davonzueilen, doch der König rief ihn zurück: »Warte! Hol auch meine Söhne Halios, Laodamos und Klytoneas!«
    Beunruhigt vernahm ich diese Befehle. Als der Kammerdiener sich entfernt hatte, um die Gebote seines Herrn zu erfüllen und die Familie im Saal zu versammeln, wandte sich Alkinoos wieder mir zu.
    »Ich sehe, du bist ein gebildeter und welterfahrener Mann«, sagte er höflich, »auch wenn du dich mit dem Viehhandel beschäftigst. Warte mit den Nachrichten, Fremder, bis meine Frau und meine Kinder, die Prinzessin und die Prinzen, hier sind. Du musst wissen, dass du der erste Mann bist, der seit Ulysses’ Abreise uns, den geschädigten Gastgebern, Nachrichten aus Ithaka bringt.«
    Er sprach finster. Die Schatten tiefer Stille verbreiteten sich in dem prächtigen Saal. So warteten wir eine kurze, aber beklemmende Zeit, bis die Mitglieder der königlichen Familie eintrafen. Die drei Söhne standen schon im Mannesalter. Halios trug einen Bart. Arete war leicht zu erkennen: Mit der natürlichen Erhabenheit der reifen Schönheit betrat sie den Saal und nahm sogleich in einem Lehnstuhl neben ihrem hehren Mann Platz. Nausikaa blieb auf der Schwelle stehen und sah mich lange an. Ihr Blick war sonderbar forschend. Ich wurde verlegen. Die Lage war keineswegs ungefährlich. Alkinoos begann zu reden.
    V
    »Du musst wissen, Fremder«, sagte er mit würdevoller, tiefer Stimme, in der das Beben unterdrückter Erregung zu spüren war, »dass Ulysses’ Aufenthalt und seine Abreise am Anfang einer Reihe großer Unglücksfälle im Leben meiner Familie und meines Volkes standen. Meine wunderbare Gattin Arete«, hier sah er die Königin an, die

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