Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
Überlegen war sie, unantastbar, königlich. Dankbar und hoheitsvoll sagte sie:
»Ich dachte an dich.«
Sie sah mich an wie einen wohlgefälligen Gegenstand, den der ferne Geliebte als Geschenk geschickt hat. Mondän war sie und fern. Die Welt um mich herum drehte sich. Ich verneigte mich. Nausikaa klatschte leicht in die Hände. Zwei Diener traten ein. Stumm führten sie mich zum Ausgang. Von der Tür sah ich noch einmal zurück. Ich wartete auf ein Wort, einen Abschied, hoffte auf eine Handbewegung, irgendeine Erklärung. Aber das wunderbare Wesen, das noch vor wenigen Augenblicken in meinen Armen gelegen hatte, sah mich nicht an. Außer der Verblüffung spürte ich eine tiefe Verlegenheit. Jetzt machte ich zum ersten Mal die Erfahrung, dass es in der großen Welt tatsächlich etwas Mondänes gab; eine andere Moral und Betrachtungsweise, die wir, die armen, provinziellen, viehzüchtenden Inselbewohner, nicht kennen … Nausikaa hatte einen Silberspiegel erhoben und richtete ihr Haar, gleichgültig, so wie Königinnen vor ihren Dienern baden. Es schien, als hätte ich im Phaiakenland nichts mehr zu suchen: Ich hatte einen Teil der Schulden meines Vaters beglichen, und man hatte mich entlassen. Als ich die Treppen hinab und dann durch den prächtigen Garten zum Hafen ging, strömte mir kalte Gleichgültigkeit entgegen. Es war ein heißer Sonnenuntergang, und dennoch fröstelte ich. So stieg ich auf mein Schiff und befahl den Schiffsleuten, die Segel zu setzen und das Steuer gen Ogygia zu richten. Von den Menschen hatte ich nichts Gutes mehr zu erwarten. Ich beschloss, eine Göttin um Hilfe zu bitten, weil ich nur so die Wahrheit über meinen Vater erfahren konnte. Aber als das Schiff leicht auf dem Wasser dahinglitt, damit ich weiter auf Ulysses’ Spuren wandeln konnte, kam mir der Verdacht, dass auch dieser Weg folgenreiche Erkenntnisse mit sich bringen könnte.
Deshalb beschloss ich, mich nicht mehr zu verstellen. Unterwegs legte ich für einige Tage auf der Insel Thrinakia an und schickte Seeleute voraus, die Kalypso mein Kommen ankündigen sollten. Die Göttinnen kann man ohnehin nie täuschen – selbst wenn sie nicht zu den ganz vornehmen Göttinnen zählen und den Olymp nicht betreten dürfen, weil sie auf der Erde bei den Menschen leben wie Kalypso und überhaupt die Nymphen und ihre Verwandten. Die Antwort der göttlichen Frau kam schiffswendend. Sie ließ mir ausrichten, dass sie mich erwarte.
Unterwegs spürte ich eine gewisse Befangenheit. Über die Nymphen wurde in meiner Heimat und überhaupt bei den Achäern mit Hochachtung und Furcht gesprochen. Ich wusste, dass sie in Höhlen wohnen, auf wasserreichen Inseln. Ich hatte gehört, dass sie ihr Lager in der Nähe von Quellen, inmitten der Wälder aufschlagen, dass sie sehr schön sind und sich mit Vorliebe in umherschweifende Götter verlieben, mit denen sie sich in der freien Natur paaren, vor allem mit Apollon, Dionysos, Hermes und Pan. Die ungebundene Lebensweise der Nymphen war allgemein bekannt. Aber meine Mutter, die weise Penelope – aus irgendeinem sonderbaren, nur dem weiblichen Verstand zugänglichen Grund hasste meine Mutter von allen Freundinnen meines seligen Vaters diese alte Nymphe immer am meisten! –, hatte mich auch anderes gelehrt. Von ihr wusste ich, dass die Nymphen in ihrem gierigen Liebeshunger manchmal auch irdische Menschen bedrängen und dass sie nicht nur schöne, junge Männer rauben, sondern Männer im Allgemeinen, ohne Rücksicht auf ihr Alter und ihren gesellschaftlichen Rang.
Auf dem langen Seeweg, der mich von der Insel Thrinakia nach Westen zum Wohnort der Göttin führte, zu der an Süßwasserquellen reichen Insel Ogygia, war uns Poseidon gnädig gesinnt, und auch Aiolos ließ die laut brausenden Winde nicht aus dem Sack. Nach genau achtzehn Tagen Fahrt kam ich in die Nähe des Nabels des Meeres, der berühmten und furchterregenden Toteninsel. Als wir das mit Zedern und Zypressen bewachsene Ufer erblickten, warfen sich meine Schiffsleute auf die Planken des Decks und flehten auf dem Bauch den Wolkensammler Zeus um Gnade an.
In diesem Augenblick verspürte auch ich eine gewisse Beklemmung. Auf dieser Insel, deren dunkle Umrisse sich jetzt finster aus dem tiefblauen Wasser erhoben, hatte mein Vater sieben Jahre lang Sklavendienste geleistet. Überall sah ich Wald, und in der Mitte stieg ein dicker Rauchschwaden zum Himmel auf. Aller Wahrscheinlichkeit nach kam diese Rauchwolke vom Herd der Herrin der Insel, der
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