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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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meisterhaft zu Figuren geflochtenen Lianen und Farnen. Wir kamen an Höhlen vorbei, und zwischen meinen wortkargen, aber braven Begleitern hatte ich Zeit, in die von feurigem Mittagslicht erstrahlten Felslöcher hineinzuspähen: Hier sah ich wunderbare Kunstwerke, die aussahen, als würden funkelnde Steine an der Wand herabtropfen, in Wirklichkeit aber aus erstarrten Steinfäden geflochten waren.
    Die Nymphen hatten aus Pflanzen, aber auch aus Steinen sonderbare, verspielte Figuren geschaffen, geheimnisvolle Teppiche gewebt. All diese herrliche Pracht diente dem Wohlergehen eines einzigen Wesens, der berühmt-berüchtigten Kalypso. Als ich mich der Wohnstätte der Göttin näherte, dachte ich ergriffen und ehrfürchtig daran, dass ich zum ersten Mal Gast bei einem göttlichen Wesen sein würde und dass ich auch diese besondere Gnade meinem Vater zu verdanken hatte.
    Die vier Quellen, die den mit üppigem Rasen bedeckten und mit tieffeurigen, bunten Blumen bepflanzten Garten wässerten, verrieten sich schon von Weitem durch ihr kristallklingendes Sprudeln. Ich ging vorsichtig, denn meine erhabene Mutter und einige der Freier, die damit prahlten, auf ihren Wanderfahrten für kürzere oder längere Zeit Gefangene der Nymphen gewesen zu sein, hatten mich auf die Gefahren hingewiesen, die in der Gegend der Quellen auf arglose irdische Wanderer lauerten. Mit niedergeschlagenen Augen ging ich voran, denn ich wusste, dass man die Schatten, die um die Quellen herum baden, nicht überraschen darf: Wer sie bei ihren selbstvergessenen Belustigungen belauscht, den beißen sie und spritzen ihm das Gift des Verderbens ein. Ich wollte nicht auf Kalypsos Insel zugrunde gehen und achtete daher darauf, vorsichtig über die schmalen Bäche zu steigen, damit mein Fuß nicht das klare Quellwasser verunreinigte – es ist ja allgemein bekannt, dass nicht nur die Töchter des Salzwassergottes Okeanos allen zürnen, die grundlos die Tiefen des weinfarbenen Meeres aufwühlen, sondern dass es auch die weiblichen Nachkommen des Acheloos, des Herrn des Süßwassers, nicht dulden, wenn jemand das Quellwasser stört. Mit niedergeschlagenen Augen und vorsichtigen Schritten ging ich also auf die Höhle der Göttin zu. Wir waren ihrer Wohnstatt, aus deren Dachöffnung sich eine Unheil verkündende, furchterregende Rauchwolke zum tiefblauen Himmel hinaufwand, schon ganz nahe, da pfiff plötzlich ein Pfeil an meinem Ohr vorbei. Erschrocken fuhr ich zusammen, doch meine struppigen, wortkargen, im Grunde aber braven und wohlgesonnenen Begleiter beruhigten mich mit einem brummelnden Lachen, ich solle mich nicht fürchten: Der Pfeil war nicht für mich bestimmt. Und tatsächlich lief mit schnellen, eher schwebenden Schritten, weiß verschleiert und mit dem Bogen in der Hand, eine Schar von Oreaden an uns vorbei, gefolgt von kläffenden Jagdhunden. Die anmutigen Jägerinnen, die Begleiterinnen der Artemis, würdigten uns keines Blickes, sie waren hinter einer jungen Hirschkuh her, ihr jugendliches Lachen vermischte sich mit dem gläsernen Rauschen der Quellen.
    Als die Schar dieser bezaubernden Wesen im Dickicht des Waldes verschwunden war, kam ich wieder zu mir und sah mich um. Aus finsteren, schwarzen Felsen war das Tor errichtet, das zur Vorhalle vor Kalypsos Höhle führte. In der Höhlenöffnung stand eine hochgewachsene, würdevolle weibliche Gestalt, an den Schleier ihres Schleppkleides klammerte sich ein zehnjähriges, dunkel gelocktes Bürschchen mit etwas einfältigem Blick. Mein Herz pochte, ich schluckte trocken. Ich erkannte Kalypso.
    VII
    Die göttliche Frau sah mich einige Augenblicke wortlos an. Ihr Blick war ernst und streng.
    »Du bist das«, sagte sie eisig. »Tritt näher!« Jetzt klang ihre Stimme wohlwollender. »Teledapos, begrüße den Onkel!« Auf die Aufforderung hin versteckte sich der Junge zwischen den Falten des Gewandes, das seine hehre Mutter trug, und streckte mir von dort die Zunge heraus.
    An der Seite der Hausherrin betrat ich die Höhle, die sieben Jahre lang das Gefängnis meines Vaters gewesen war. Kaum war ich über die Schwelle getreten, wich ich überrascht bis an die Wand zurück. Der Anblick, der sich mir bot, die Einrichtung von Kalypsos Heim, die überquellende Pracht, die mich im Empfangszimmer der berühmten Nymphe empfing, änderte schlagartig meine Vorstellungen von Kalypso und den Nymphen im Allgemeinen. Überall sah ich olympischen Prunk und zugleich ausgewählte, überaus vornehme irdische Bequemlichkeit.

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