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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Die Wohnstatt, die von außen als Höhle getarnt war, verwandelte sich in den inneren Räumen in das lustschlossartige Heim einer von himmlischen und irdischen Ansprüchen verfeinerten Frau. In dem aus rohen Natursteinen kunstvoll zusammengesetzten Kamin loderte ein dunkelrotes Feuer; offenbar war dies die Feuerstelle, deren finstere Rauchwolke meine Schiffsleute so abergläubisch entsetzt angestarrt hatten. Harzige, duftende Tujascheite flammten zwischen den edlen bronzenen Feuerhunden. Vor dem Kamin standen Liegen, mit meisterhaft bearbeiteten Tierfellen bedeckt, ein niedriger Tisch aus phönizischem Glas, Lehnstühle mit hellgrünen und hellblauen, schuppigen und lederartigen Bezügen. Das scharlachrote, geheimnisvolle Licht des Feuers vermischte sich mit dem goldblauen Schimmern eines eigenartigen, unsichtbaren Leuchtkörpers, das den ganzen Raum erfüllte. Wir standen reglos da. Kalypso beobachtete mich, ich sah verlegen woandershin, weil ich spürte, dass ihr forschender Blick Spuren der Ähnlichkeit mit meinem Vater an mir suchte. Ich sah mich um, als suchte ich die versteckte Lichtquelle im Zimmer, die die Luft des Raumes mit flirrenden blauen und goldenen Körnchen zu füllen schien. Kalypsos strenger Gesichtsausdruck wurde milder. Auch Teledapos hatte aufgehört, mir die Zunge herauszustrecken.
    »Du bewunderst das Licht«, sagte die göttliche Frau mit tiefer, etwas männlicher, aber nicht unangenehm klingender Stimme. »Alle unsere Besucher überrascht diese Beleuchtung.« Zufrieden sah sie sich um. »Mein Vater Atlas schickt diesen Leuchtstoff für unseren Haushalt, meine Diener füllen ihn auf der Insel der wilden Ziegen in große Behälter, in einer Höhle voll salzigem Wasser und goldblauem Licht. Eine nützliche und angenehme Beleuchtung«, sagte sie beiläufig im routinierten Ton der guten Gastgeberin. »Ruh dich aus, Telemachos!« Sie wies auf einen der mit blassblauem Leder überzogenen Lehnstühle.
    Sie selber nahm gegenüber dem Feuer auf einem Diwan Platz. Vor Verlegenheit wagte ich nicht, meine Augen auf die Göttin zu richten. Ich tat so, als interessierte mich die Einrichtung des üppigen Raumes, und sah mich im Zimmer um. Während ich umherschaute, fühlte ich den aufmerksamen, äußerst interessierten, aber jetzt spürbar nicht mehr feindlichen Blick der Hausherrin auf mir. Die Situation war sonderbar. Von Teledapos’ Existenz hatte ich schon von meiner strahlenden Mutter gehört. Wie an allem und jedem, was Kalypso gehörte, hatte meine Mutter auch an diesem Kind etwas auszusetzen, sie nannte es dämlich. Unauffällig, aber neugierig prüfte ich das Gesicht des Jungen, ob ich an dem Kind eine Familienähnlichkeit feststellen könnte. Seine Ohrläppchen waren länglich wie die meines Vaters und die meinen. Aber sein fleischiger Mund, die Hakennase und die sonderbar zusammengewachsenen Augenbrauen waren Erbe seiner Mutter.
    Die Spannung der ersten Begegnung löste sich nur schwer. Kalypso schwieg, als hätte sie mit Erinnerungen zu ringen und fände nicht sogleich den rechten Ton für eine Unterhaltung. Ich war ihr Gast. Aber war ich nicht auch mehr und anderes als ein Gast? Schließlich war in meiner Person ein Verwandter in ihr Haus gekommen. Nun ja, kein Blutsverwandter … Doch das Blut, das in meinen Adern floss, hatte in den Liebesnächten vor sieben Jahren ihren Körper durchströmt, und der lebende Beweis stand hier vor mir, Teledapos, mein Halbbruder, mein Verwandter! Während wir schwiegen, versuchte ich, Kalypsos Gefühle und Gedanken zu erahnen. Alles, was ich von ihr wusste – und von der Beziehung zwischen den beiden, meinem Vater und der Nymphe –, ließ mich vermuten, dass im Herzen der Hausherrin widersprüchliche, stürmische Gefühle tobten, jetzt, da ihr der Sohn Penelopes und des Lichtbringers unter die Augen trat.
    Ich gab mir Mühe, mich bescheiden, der Situation angemessen, mit natürlicher Höflichkeit zu benehmen. Mit keinem Wort erwähnte ich das Ziel meines Kommens. Ich nahm an, dass die göttliche Nymphe die Geheimnisse der menschlichen Herzen und die verborgenen Gedanken der Leute kannte. Wahrscheinlich waren ihr die Absichten meines halb verwandten Herzens und Verstandes noch viel unmittelbarer vertraut. Mein Verhalten war nicht unangebracht. Die Nymphe stützte die meeresschaumgleichen Arme auf die mit der grünen Seidenschleppe bedeckten Knie und beobachtete mich so, ihr gepflegtes, kluges Gesicht ruhte dabei in den Händen mit den dunkelroten Nägeln.

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