Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
Sie wirkte nach langer Betrachtung und Beobachtung milder gestimmt. Seufzte und lächelte. In der kurzen Zeit zwischen meiner Ankunft und diesem Augenblick hatte meine Gastgeberin offensichtlich Frieden mit mir geschlossen.
»Du bist sicher hungrig«, sagte sie höflich in einem mütterlichen Ton, der auf ehrliches Wohlwollen schließen ließ. »Hungrig und erschöpft. Der Weg ins Reich meines erhabenen Vaters, des großartigen Atlas, ist ermüdend für irdische Sterbliche. Das weiß ich von deinem Vater«, sagte sie etwas kokett und blinzelte. »Vor allem erhole dich, mein Sohn!«
Sie schüttelte eine fein ziselierte goldene Klingel, die auf dem Glastisch bereitstand. Nereiden traten ein, mit Körperbewegungen, die eher an Fische und mit Flossen dahinschwebende Wasserwesen erinnerten als an Menschen. Ich sah diese geheimnisvollen Wesen zum ersten Mal und beobachtete sie mit pochendem Herzen. Sie hatten blaugrüne Haare … Fremd waren sie, und dennoch konnten sie Sehnsüchte wecken wie irdische Frauen. Das Haar einer jungen Nereide schlug lange, sanfte, blaue und grüne Wellen wie das Meer, wenn der Morgenwind es kräuselt. Kalypso bemerkte meinen Blick und lächelte.
»Galateia«, sagte sie zu der Schönhaarigen, »unser Gast bewundert dein Haar. Glyke und Doso«, sie wandte sich an zwei andere Nereiden, »sorgt dafür, dass in unserem bescheidenen Haus auch die anderen Sinnesorgane des Sohnes des Lichtbringers nicht hungrig bleiben.«
Die Nereiden nahmen ihre Worte mit Lachen auf, aber dieses Lachen glich eher den Trillern einer gläsernen Flöte als dem Gelächter irdischer Frauen. Galateia sah mich geheimnisvoll an. Sie schob einen gläsernen Schemel vor meine Füße, während Glyke und Doso einen kleinen Tisch sowie Schüsseln und Krüge brachten. Zu meiner Überraschung sah ich, dass sie für Kalypso auf einem anderen Tischchen deckten und dass der Hausherrin auf einem Silberschälchen nur einige Löffel Ambrosia gereicht wurden, während sich vor mir allerlei Schüsseln mit leckeren Bissen häuften.
»Iss, Telemachos«, sagte die Göttin, »fühl dich zu Hause in meinem Heim, in dem auch dein Vater keinen Mangel gelitten hat.« Sie seufzte, und ihr üppiger Busen erzitterte. »Verzeih, dass ich nicht mithalte, aber mein göttlicher Rang verbietet mir den Verzehr irdischer Speisen. Außerdem verbietet ihn auch mein Arzt, der streng auf meinen Speiseplan achtet. Ich will nicht abnehmen«, sagte sie und führte mit ihren feinen Fingern etwas Ambrosia zu den purpurnen Lippen, »es schadet aber auch nicht, wenn ich auf mein Gewicht achte. Dein Vater hat auch immer gesondert gespeist.« Sie seufzte wieder.
Die Nereiden bedienten uns stumm. Ich war hungrig und begann wortlos zu essen. Die Qualität der Küche überraschte mich. Der junge Kürbis, der zum Fleisch des Milchlammes aufgetischt wurde, schmeckte wie das vornehmste Gemüse. Ich erinnerte mich, dass mein Vater nach seiner Heimkehr die Qualität der heimischen Küche gerügt und mit diesen seinen Bemerkungen das Selbstbewusstsein meiner hehren Mutter und Hausherrin empfindlich verletzt hatte. Aber jetzt, da ich die geschmackvolleren Speisen aus Kalypsos Küche genoss – Haifischflosse mit Oliven und Eiersauce, Lerchen in Majoran, die mir die schönhaarige Galateia, auf einem Olivenholzspieß aufgereiht, in einer silbernen Schüssel darreichte, Büffelkäse mit orientalischen Gewürzen, Anis und Pfeffer, Mürbegebäck mit Honig, Nüssen, süßer Milch und Trockenobst –, jetzt musste ich fürwahr anerkennen, dass Kalypsos Küche erlesener, edler als unsere heimische war. Mein Vater hatte in der Gefangenschaft offensichtlich nicht gedarbt. Besonders in der Gefangenschaft von Frauen verstand er sich darauf, in keinem Sinne hungrig zu bleiben. Als die schönhändige Glyke – ihre Hände glichen eher edlen Fischflossen als weiblichen Gliedern – mir den goldenen Krug voller Wein reichte, der dem schwarzen Blut glich, das bei Stieropfern auf den Altar fließt, griff Teledapos, der bislang in Kalypsos Nähe gestanden und seiner erhabenen Mutter ab und an das eine oder andere Stückchen Ambrosia stibitzt hatte, gierig nach dem edlen Trank. Kalypso schlug ihm auf die Hand.
»Ab ins Bett!«, rief sie streng. »Was soll der edle Gast und hehre Verwandte bei solchem Benehmen denken?«
Der Bengel fing an zu heulen. Zwei ältere Nereiden traten ein und zerrten das unartige Bürschchen aus dem Zimmer. Kalypso rief ihnen hinterher:
»Ploto, hör zu!« Eine
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