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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Unternehmungen der Menschen im Allgemeinen und insbesondere die des großartigen Ulysses beobachten, sind nicht ganz unbegründet … Der Mensch ist nicht mehr das arglose Wesen, das er am Anfang der Zeiten war. Damals waren die Menschen nämlich gut und edel«, sagte sie leise. »Aber dann folgten sehr rasch aufeinander vier unterschiedliche Generationen: die Generation des Goldes, des Silbers, der Bronze und des Eisens, und das Wesen und die Grundnatur des Menschen änderten sich. Die letzte Generation ist am gefährlichsten.« Kalypso war Besorgnis anzuhören. »Dein Vater und seine Gefährten sind schon im Zeichen des Eisens geboren. Hermes erschien nicht nur wegen des Verrats der verblühten Göttin, der eulenäugigen, geschwätzigen und eifersüchtigen Pallas Athene, eines Tages hier, um nach deinem Vater zu sehen«, sagte Kalypso geheimnisvoll. »Die Götter machten sich Sorgen, dass Ulysses’ zauberhaftes und zugleich männliches Wesen mir, einem göttlichen, aber einsamen Wesen, das Herz betören und mir vielleicht Geheimnisse entlocken könnte, die im Besitz eines Sterblichen gefährlich sein können. Doch ich habe ihm nicht mehr gesagt als das, wozu ich das Recht habe«, sagte sie mit dumpfer, unsicherer Stimme.
    Wir schwiegen lange. Beide betrachteten wir das rötliche Feuer. Kalypso stützte sich mit den Ellenbogen auf ihre Knie und sah etwas schielend und blinzelnd und mit in die Ferne forschendem Blick vor sich hin.
    »Jetzt weißt du alles, Junge«, sagte sie dann kurz, beinah grob. »Wenn du auf die Erde zurückgehst, an den Rockzipfel deiner Mutter oder in die Arme der irdischen Frauen, und dein Leben auf Männerweise zu leben beginnst, dann erinnere dich an all das, was du gelernt hast. Das war ich deinem Vater noch schuldig«, sagte sie bitter, »und nicht nur ihm, sondern auch dem Geschlecht der Nymphen. Sag deiner Mutter, dass ich deinen Vater niemals mit Gewalt zurückgehalten habe. Pallas Athene hat gelogen, weil die Götter auf alle Göttinnen eifersüchtig sind, die sich mit einem Menschen in Liebe vereinen. Dein Vater ist freiwillig zu mir gekommen, nach seinen schrecklichen und lächerlichen Abenteuern, als er die Arglist der Menschen und die Unbeständigkeit der Götter bereits kennengelernt hatte. Er hatte es nicht eilig, hier wegzukommen«, sagte sie stolz, »obwohl ich ihn nicht mit einem Faden an mein Bett gebunden und ihm auch keine Haare ins Essen gemischt habe. Er ist freiwillig bei mir geblieben, hat sich vom Kriegsleben und den Mühen der wilden Abenteuer erholt, ist von seinem Magenleiden geheilt worden, hat gelebt, gelernt und geliebt … Und Hermes lügt, wenn er erzählt, er hätte deinen Vater weinend vorgefunden, weil er meiner Liebe überdrüssig war. Sieh mich an, Junge!«, sagte sie hoheitsvoll. »Ich bin nicht so berühmt wie gewisse liederliche Spartanerinnen, deren Namen in die Geschichte eingegangen und für die sterbliche Männer in einen hirnverbrannten Kampf gezogen sind. In meinem göttlichen Rang lebe ich allein. Eine Schwäche habe ich freilich: Ich habe deinen Vater getroffen und zusammen mit ihm die Menschen kennen- und lieben gelernt.« Plötzlich sprach sie leise und unsicher. »Glaubst du wirklich, dass ich eine Frau bin, von der man nach sieben Jahren genug hat?«
    »Strahlendes Wesen«, sagte ich bewegt, »ich sehe, die Wirklichkeit ist wieder einmal anders als die Gerüchte. Wenn ich in der Welt etwas für deinen und der Nymphen guten Ruf tun kann …«
    »Du kannst weitererzählen, was du gehört, gesehen und erfahren hast«, sagte Kalypso stolz. »Sag den Menschen, dass du eine Nymphe getroffen hast, die einen Menschen geliebt und für ein menschliches Wesen auf die Freundschaft der Götter verzichtet hat.« Kalypso sprach jetzt ernst und würdevoll. »Aber auch meine Liebe war nicht stark genug, um diesen Menschen aus der Welt der Sterblichen in die Unsterblichkeit zu locken. Ich weiß, dass auch er mich geliebt hat«, gestand sie verschämt. »Trotzdem hat er mich verlassen, weil ihn die Erde rief. Er zog in das Abenteuer, dessen letzter Halt der Tod ist«, sagte sie ruhig. »Er tat dies, weil er ein Mensch war.«
    Bescheiden murmelte ich, dass mein Vater gewiss in seinem Herzen die dankbaren Gefühle für seine göttliche Freundin bewahrt habe. Aber Kalypso, das weiße Taschentuch in der Hand, winkte ab:
    »Er weiß nicht, was Dank ist«, sagte sie, »denn er ist ein Mensch. Jedenfalls kannst du den sterblichen Frauen und Männern sagen, dass du

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