Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
unangenehm. Auf der langen Seereise, die meine Barke nach Ithaka zurückführte, hatte ich Zeit und Gelegenheit, über alles nachzudenken, was ich auf den Spuren der Reisen und Abenteuer meines Vaters erfahren hatte. Das Ergebnis meiner Grübeleien war der Entschluss, mit dem Forschen aufzuhören, weil ich das rätselhafte Wesen meines Vaters nun ausreichend zu kennen glaubte. Er war mein Vater, er war Mensch, er war der Mann meiner hehren Mutter Penelope, war der Freund von Nausikaa, Kalypso, Kirke und noch einigen anderen Inseldamen, war der Held von Troja … Aber zugleich war er auch noch etwas anderes. Weniger als ein Gott. Und vielleicht etwas mehr als ein Mensch … So viel hatte ich verstanden. Es ist sicher, dass ein solches Geschöpf gefährlich ist, und die Götter waren nicht ohne Grund besorgt wegen des irdischen Auftretens meines hehren Vaters. Sicher schien auch, dass wir, seine Familienmitglieder, seine Geliebten, seine Mitkämpfer, Trinkkumpane, Abenteuergefährten, die von ihm Beschenkten und die von ihm Betrogenen, die Gesellschaft dieses außergewöhnlichen Wesens besser nur mit Vorsicht suchten. Unter dem Eindruck der Erfahrungen meiner Reise beschloss ich auch, in Zukunft die Gesellschaft von Damen zu meiden, die irgendwo an den Ufern des Peloponnes für kürzere oder längere Zeit in den viel erduldeten, aber muskulösen Armen meines hehren Vaters gelegen hatten. Nach dieser Nacht gab ich den Plan auf, Tante Helena in Sparta noch einmal zu besuchen. Gewiss, diese mit mir verwandte Dame war schon sehr alt … Doch der Besuch bei Kalypso hatte dafür gesorgt, dass ich aus dem Lebensalter der Damenbekanntschaften meines Vaters keine voreiligen Schlüsse mehr zog. Ich beschloss, meine Manneskraft in Zukunft nur an einfache, sterbliche Frauen zu verschwenden, die keine Verwandtschaft mit den Göttern unterhalten und sich mit dem Zauber meiner Person zufriedengeben, ohne sich dabei an die Augen und Ohren meines Vaters zu erinnern.
Diese Entscheidung war einfältig. Ich wusste noch nicht, dass ich gegen den Willen meines Vaters und der Götter nichts ausrichten kann, und ebenso wenig konnte ich wissen, dass mein Vater mir ein anderes Schicksal zugedacht hatte, nämlich genau das, gegen das ich mich so vehement sträubte: mein Leben in den Armen einer Göttin fortzusetzen, zeitlos, und dass diese Frau niemand anders sein würde als Kirke, die mein Vater, wie so viele andere Göttinnen, großzügig mit seiner Manneskraft beschenkt und dann schnöde verlassen hatte! Der Schleier, mit dem die Götter den umherirrenden Sterblichen den Blick verhängen und den wir Menschen Schicksal nennen, hatte sich für mich damals noch nicht gehoben! Mein Vater lebte, und ich beschloss, in Zukunft ehrfurchtsvoll an ihn zu denken – zugleich aber die Begegnung mit ihm und mit allen zu meiden, mit denen er im Zuge seines abenteuerlichen Lebenswandels irgendwann zu tun gehabt hatte. Ich war unruhig. Auch die Spitze meines Schiffes bohrte sich mit unruhigen Schwüngen in die schaumbedeckten Wirbel des weinfarbenen Meeres. Ich hatte das Gefühl, meine Jugend sei jetzt vergangen. In Zukunft würde ich meinen eigenen Weg gehen müssen. Die Jugend war das Warten gewesen, also der Mythos. Jetzt würde der Weg des Verstandes und der Erfahrung kommen, also die Zeit des Logos, das Mannesalter. Ich erinnere mich, dass mein Schiff, als mich diese Gedanken bewegten, durch einen wolkigen und nebligen Meeresabschnitt fuhr, und mir schien, als hörte ich im Nebel ein spöttisches, heiseres Lachen. Meine abergläubischen Schiffsleute beteuerten, Aiolos lache über unseren Weg. Heute weiß ich jedoch, dass die Seele meines Vaters im feuchten Dunkel lachte.
Ich kehrte nach Ithaka zurück und begann auf der Scholle der Ahnen zu leben, so gut ich konnte. Eines Tages kehrte auch meine großartige Mutter heim. Aber das ist wieder eine andere Geschichte. Und dann geschah alles unerbittlich so, wie die Götter es wollten und mein Vater es im Augenblick seines Todes befahl. Ich heiratete die Frau, die er von sich gestoßen hatte, und eigenartige Erinnerungen an Ärger und Schwärmerei toben in unseren Herzen, wenn wir uns, gemäß den Gesetzen des Ehelebens, von Zeit zu Zeit in die Arme fallen, wir beide, die göttliche Kirke, die Geliebte meines Vaters, und ich, der zur Unsterblichkeit verurteilte Sohn dieses Vaters. Ich lebe auf der Insel Aiaia, und meine hehre Mutter, die Frau meines edlen Halbbruders, des Mörders Telegonos, leben auch hier
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