Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
Luft, Nestis die fürs Wasser und Aidoneus die für die Erde. Eine Zeit lang kamen die Weltelemente friedlich miteinander aus.« Sie war gerührt von der Erinnerung. »Leider hat Neikes ihnen dazwischengefunkt.«
»Neikes war auch ein Element?«, fragte ich unwillkürlich voller Neugier.
Kalypso sah mich mitleidig an:
»Du musst noch viel lernen, mein Sohn. Wenn du nach Ithaka zurückgehst, bitte deinen Vater, dir die grundlegenden Kenntnisse über die himmlischen und irdischen Geheimnisse zu vermitteln. Er ist, dank meiner, ziemlich eingeweiht«, sagte sie überheblich. »Neikes war kein Element, er war die Leidenschaft, er war der Zwist … Eines Tages redete der Zwist dazwischen und trennte die friedlichen Elemente. Seither will der Kampf nicht aufhören. Das Feuer ficht gegen das Wasser, die Luft gegen das Feuer, und Hermes hat neulich entsetzt davon gesprochen, dass man in den höchsten Kreisen des hehren Olymps, wo man sich mit dem Weltenschicksal befasst, den Aufstand des gewöhnlichsten Elementes, der Erde, und seiner Frucht, des Menschen, mit Sorge beobachte. Aber Zeus duldet keinen Aufstand!« Ernst hob sie Stimme und Zeigefinger. Ihre schönen, klugen Augen blitzten mich jetzt mit dunklem Feuer an.
Mir lief es kalt über den Rücken. In ihren Worten hörte ich eine Drohung mitschwingen. Ich glaubte, in meinem eigenen Namen und in dem des ganzen menschlichen Geschlechts zu sprechen, als ich lebhaft einwarf:
»Wenn der erhabene Zeus aufpasst und keinen Aufstand duldet, dann wird vielleicht auch das elende Geschlecht der Menschen rechtzeitig zahm, ebenso wie die aufständischen Titanen …«
»Mit den Titanen ist der Erhabene leicht fertiggeworden.« Kalypso zuckte mit den Schultern. »Als er von Hekate von dem Aufstand erfuhr, hat er sie einfach niedergeblitzt. Die meisten sind verbrannt, und aus ihrer Asche hat Zeus das Material für die Körper der Menschen bekommen. Diese Titanenasche, die organischer Bestandteil allen menschlichen Fleisches ist«, sagte sie mit einem gewinnenden Lächeln und streckte die Hand aus, um mir die Wange zu streicheln, »ist ein spannender Stoff im Organismus des Menschen. Sie erinnert den menschlichen Körper an seinen göttlichen Ursprung.« Wieder lächelte sie lüstern und kokett. Ich bekam eine Gänsehaut. »Aber es wurden nicht alle Titanen vernichtet. Die meisten hat Zeus im Tartaros eingeschlossen«, sagte sie gleichgültig, »in dem Gefängnis in der Mitte der Erde. Dieses Kittchen, wo auch ungehorsame Götter eingesperrt werden, für längere oder kürzere Zeit, wenn sie unbändig sind und der einfache Hausarrest auf dem Olymp nicht mehr ausreicht, um sie zu disziplinieren … Aber den Menschen in den Griff zu bekommen ist schwieriger.« Ihre Stimme klang sorgenvoll.
»Was sagst du, hehre Frau?«, fragte ich verblüfft. »Die Götter bekommen den Menschen nicht in den Griff?«
»Die Menschen«, sagte Kalypso beklommen, »waren keine Gefahr für die Götter, solange sie an den Mythos glaubten und sich mit dem berauschenden Zauber des Weltenmärchens zufriedengaben. Aber jetzt, da solche Menschen, wie beispielsweise dein Vater, mit der Leuchte des Logos durch die Welt gehen …«
Mit schiefem Blick sah sie mich skeptisch an. Neugierig wartete sie auf meine Reaktion. Mein Herz schlug angesichts der großen Ehre. Was ich gehört hatte, war schrecklich, doch zugleich auch inspirierend. Das Wesen und die Rolle meines Vaters, der wahre Sinn seiner ruhelosen Reisen, seiner suchenden und forschenden Abenteuer begannen sich mir in neuem Licht zu zeigen. Zum ersten Mal hatte ich – noch dazu aus dem Mund eines göttlichen Wesens – gehört, dass Ulysses nicht nur die Frauen, die Achäer und die Phaiaken hereinlegen konnte, sondern auch die Götter.
»Du überschätzt das Maß unserer Fähigkeiten, Göttin«, erwiderte ich mit falscher Bescheidenheit. »Wir, die elenden Menschen, können niemals Konkurrenten der strahlenden Götter sein. Wer glaubt denn ernsthaft, dass mein Vater, der über List und einen durchtriebenen Verstand verfügt, sich jemals dem Willen der Götter widersetzen würde? Mein Vater liebt das Abenteuer, aber ansonsten ist er ein tief religiöser Mensch.«
»Auch der Gottessohn Kronos war religiös, trotzdem hat er einen Aufstand angezettelt und seine Kinder aufgefressen«, erwiderte Kalypso heftig und fuhr dann nachsichtiger fort: »Er war gefräßig, aber religiös. Nein, mein Sohn, der Verdacht und die Sorge der Götter, mit der sie die
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