Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
Ulysses hat keinen Frieden gebracht«, sagte ich niedergeschlagen. »Er hat die Wut nach Ithaka gebracht. Die Wut, die das Geschlecht der Menschen erfüllt, in Ithaka und anderswo, kann niemand versöhnen …«
»Nur Eros!«, sagte Kalypso majestätisch mit kräftiger Stimme.
Ihre Worte hatten einen eigenartigen Klang. Voll war dieser Klang, weiblich und heiser. Vor Überraschung setzte ich mich auf die Liege. Kalypso ließ sich mit einer plötzlichen und jugendlichen Bewegung neben mir nieder. In ihren meerfarbenen Augen wirbelte opalenes Licht. Die ehrwürdige Nymphe schien jetzt gar kein Alter mehr zu haben. Sie sah mir tief in die Augen und sagte leise:
»Nur Eros, Kind! Es gibt keinen anderen Frieden, im Himmel und auf der Erde, als den, den Eros schenkt. Dein Vater wusste das!«
Mit ihren schönen Händen streichelte sie verständnisvoll meine Locken. Ich begann mich zu fürchten. Ihre Handfläche berührte mich an der Stirn. Dann glitten ihre Finger über meine Ohrläppchen. Mit halb geschlossenen Lidern sah sie mich kurzsichtig an und murmelte leise:
»Wie vertraut sind mir deine Augen und Ohren …!«
XII
Früh am Morgen fuhr ich ab. Kalypso begleitete mich zum Abschied bis zum Tor ihres Hauses. Im grünen Gewand stand sie reif und üppig im Morgenlicht. Ich trat über die Quelle, die vor dem Gartentor sprudelte, und bevor ich im Dickicht des Waldes verschwand, entbot ich der Gastgeberin dieser besonderen Nacht meinen Gruß:
»Friede den Göttern!«
Kalypso streckte ihren weißen Arm aus. So schickte sie mir mit einer segnenden und verzeihenden Bewegung das Abschiedswort hinterher:
»Friede für Ithaka!«
Mit raschen Schritten eilte ich durch den dichten Wald zum Hafen. Die Vögel von Ogygia sangen, und die rosenfingrige Morgenröte hatte ihr Licht auf die üppigen Waldwiesen gestreut. Ich war leicht müde. Und zugleich angenehm erfrischt. Ich fühlte mich, als hätte man mich ausgeraubt. Aber auch, als wäre ich reich beschenkt worden. Von der Nacht – von allem, was ich gehört hatte, und von allem, was später ohne Worte folgte – blieben keine unangenehmen Erinnerungen zurück. Ich beschloss, verschwiegen, aber großherzig zu sein und, wo ich in der Menschenwelt eine falsche Beschuldigung hören würde, das Wort zur Verteidigung der Nymphen zu ergreifen.
Meine Schiffsleute empfingen mich mit lautstarker Begeisterung. Ich rief die einfachen Männer mit einigen strengen Worten zur Ruhe und befahl, die Segel zu setzen und das Schiff gen Nordosten zu lenken, auf Ithakas Hafen zu. In den Morgenstunden hatten die Nereiden und Silene – auf das großzügige, sorgsame Gebot meiner göttlichen Gastgeberin – den Bauch meines Schiffes mit schmackhaften Speisen und Getränken gefüllt. Ein Mantelsack aus veredelter Ziegenhaut und ein Schlauch – Geschenke Kalypsos – waren für mich allein bestimmt. Der süße Wein im Schlauch, der mich an Nektar erinnerte, rief mir die Ereignisse der Nacht wach, die ich im Haus der edlen Spenderin verbracht hatte: Feurig war er und zugleich sonderbar, weise herb, wie der Kuss der Göttin … Kalypso wusste, dass der Mensch nicht allein vom Wort lebt, und deshalb fand ich in dem Mantelsack eine herrliche Auswahl sorgsam in Weinblätter gewickelter Köstlichkeiten: gepresste Feigen, getrocknete Weinbeeren, auf Stein gebackenes, mit Honig gesüßtes Gebäck, Räucherfisch, Hammelkeule mit Majoran, kaltes Rehfleisch in Eiersauce und Öl, Büffelkäse mit Anis … Sorgsam durchsuchte ich den Mantelsack und erkannte in der Zusammenstellung edler Speisen gerührt den vorzüglichen Geschmack und die Fürsorge meiner Gastgeberin. Meine forschende Hand tastete sich an der Seite des Mantelsacks in die Tiefe, denn es war nicht ausgeschlossen, dass Kalypso der Tradition ihres Hauses treu blieb und ihrem abreisenden sterblichen Gast nicht nur Speisen und Getränke mit auf den Weg gab, sondern in einem verborgenen Beutel einige Schmuckstücke, glänzende und wertvolle Andenken, wie es auf den Inseln allgemein Brauch war, wenn jemand zu Besuch kam. Aber ich fand keinen Schmuck und auch keinen ähnlich glänzenden Tand. Ich zog meine forschende Hand aus dem Mantelsack und verlor ein wenig die gute Laune. Doch dann fiel mir ein, dass mein Vater schon damals alles Wertvolle von der Insel mitgenommen hatte und Kalypso deshalb dem Sohn des großen Abreisers beim besten Willen nichts anderes mitgeben konnte als die Erinnerung an ihre reifen Küsse.
Diese Erinnerung war nicht
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