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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Gesellschaft nie restlos wohlfühlen. Sobald sich der Mensch auf zwei Beine stellt, wird er hochmütig.
    Aber auf vier Beinen, mit lockigen, schmierigen Borsten, Ringelschwanz, Hauern und kräftigen Kiefern, zwischen denen die Kornellen und Eicheln so geschmackvoll krachten, mit winzigen Äuglein und schwabbelndem Hängebauch: Wie freundlich waren diese verzauberten Menschen, die Spielgefährten meiner Kindheit! Niemals habe ich bei ihnen Ehrgeiz bemerkt und auch keine Zwietracht. Ich weiß gar nicht, ob sie das Heimweh nach ihrer zweibeinigen Lebensform peinigte. Sie liefen mit so natürlicher Fertigkeit flink auf vier Gliedmaßen durch die Welt wie Krabbelkinder, die nur zögernd, um den Preis der Besiegung großer körperlicher und geistiger Widerstände, entscheiden, sich auf ihre beiden Beine zu stellen. Ich erinnere mich nicht an wehmütige Schweine. Ihr Liebesleben war genauso komplikationslos wie ihr Gesellschaftsleben. Sie trugen keine Kriege aus wie vorher, als das zweibeinige Leben sie in gefährliche und schmerzhafte Abenteuer verwickelt hatte. Alles in allem habe ich in ihrer Umgebung nichts anderes als grunzende Zufriedenheit erlebt.
    An strahlenden Sommernachmittagen kam meine Mutter manchmal zu uns heraus an die Quelle, wo ich inmitten meiner Schweineherde am Ufer des Baches unter einer schattigen Buche lag. Sie nahm in unserer Nähe Platz und befahl mir, die Flöte herauszunehmen. Ich musste Melodien der wehmütigen Volksmusik der Toteninsel flöten, die ich von den gesangsliebenden Dienern meiner Mutter schon als Kleinkind gelernt hatte. Meine Mutter machte Handarbeiten – wie die meisten vornehmen Damen –, und während ich flötete, versammelten sich die Schweine um uns. Das Nachmittagslicht, das durch das dunkle Buchenlaub fiel, färbte das wunderbare Haar meine Mutter golden; mit seitlich geneigtem Kopf saß sie nachdenklich da, und während ihre Hände flink die Stricknadeln bewegten, sang sie leise zu meiner Flöte. Die Schweine hörten dann auf zu grunzen. Tier, Gott und Mensch wurden von einer zauberhaften Andacht erfüllt. Später hörten wir Pans heisere Flötentöne, er strich irgendwo im Wald umher und antwortete so auf das zauberhafte Lied meiner Mutter. Die Schweine standen reglos und ergriffen um uns herum und rieben ihre borstigen Rücken gegeneinander, und wenn ich mit dem Flötenspiel fertig war, ließ meine Mutter ihre Handarbeit in den Schoß sinken und sah mit seitlich geneigtem Kopf den braven Ebern in die blinzelnden Äuglein.
    An diese Augenblicke erinnere ich mich lebhaft. Es lag eine geheimnisvolle Spannung in der Luft. Den Grund für diese Unruhe konnte ich mir mit meinem damaligen Verstand noch nicht erklären, aber ich spürte, dass es bedeutsame Augenblicke waren! Meine Mutter erinnerte sich dann … Ich weiß nicht, ob die Schweine sich auch erinnerten, und wenn ja, woran.
    II
    Aber wir hielten nicht nur Schweine auf der Insel. Als ich größer wurde, verstand ich langsam die tiefere Wahrheit des geheimnisvollen Tierparks meiner fürchterlichen und großartigen Mutter. Auf den Wiesen von Aiaia streiften auch zahme Löwen und Rohrwölfe umher. Diese wilden Tiere fraßen einem aus der Hand und liefen, sobald meine Mutter sie rief, schwanzwedelnd zu unserem Haus. Die Schweine und die wilden Tiere trieben sich in arkadischer Eintracht auf den Fluren unserer Insel herum. Das war ein angstfreies Leben. In meiner Kindheit machte ich niemals die Erfahrung, dass man sich auch vor Lebendigem fürchten kann. Später erfuhr ich, was Angst ist – später, als ich auch das Menschliche in mir selbst kennenlernte. Niemals fürchtete ich mich davor, dass man mich tötet oder mir etwas antut … Aber eines Tages begann ich mich zu fürchten, dass ich jemanden umbringen könnte. Und meine Furcht steigerte sich zum Entsetzen, als ich begriff, dass es mein leiblicher Vater war, den ich töten musste.
    Meine flechtenschöne Mutter verheimlichte mir auf eine zarte Eingebung ihres edlen Herzens lange das Geheimnis meiner Herkunft. Ihre Diener – vier unsterbliche, aber in der Hausarbeit gut ausgebildete Nymphen von niederer Herkunft, die in meiner Kindheit den Aufgabenbereich der Amme und des Kindermädchens versahen – gehorchten den Befehlen ihrer göttlichen Herrin blind und verschwiegen mir das Gerede, das über meine Abstammung im Umlauf war. In der Gesellschaft von weiblichen Wesen, Schweinen, Löwen und Rohrwölfen verging meine Kindheit. Meine Mutter wusste, dass diese

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