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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Aufmerksamkeit, wenn du uns als Vorspeise eine dicke, mit Oliven und jungen Zwiebeln zubereitete Rinderzunge servieren würdest. Umso mehr, als er den Vorabend seines Geburtstags bei uns verbringt«, sagte meine Mutter und lächelte finster.
    »Geburtstag!«, rief begeistert die göttliche, aber etwas einfältige Ilythia. »Das ist eine große Ehre für unser Haus. Herrin, was wäre, wenn wir die Rinderzunge später servierten und dem Gast zur Vorspeise irgendeinen wohlschmeckenden und seltenen Meereskrebs vorsetzten? Krebs mit Mayonnaise! Unsere Fischer sagen, die Laichzeit ist gekommen, und sie hätten am Ufer ein fettes, sonderbares Krebsgetier gesehen.«
    »Ausgezeichnete Idee!«, sagte meine Mutter, und ihre Augen blitzten. Mir zitterten die Knie, mich quälte eine schlimme Vorahnung. »Sag den Fischern, sie sollen das Netz heute Nacht besonders sorgfältig auswerfen. Wenn mein Onkel Poseidon mit dem goldenen Dreizack dann ein seltenes Meerestier in die Nähe unserer Ufer schickt, brate es in frischem Öl. Und gib acht, denn Hermes ist auch ein göttlicher Koch. Auf dem Olymp ist er der Weinschenk und zugleich der Chefkoch in der göttlichen Küche. In der Kenntnis der Geheimnisse der Küchenkunst wetteifert er sogar mit Apollon Megistos.«
    »Ich weiß«, sagte Ilythia einfältig und andächtig. »Auch Ulysses hat von ihm ein bisschen kochen gelernt.«
    Ich hörte diesen Namen zum ersten Mal. Obwohl ich meine ganze Aufmerksamkeit auf die finsteren Pläne meiner Mutter gerichtet hatte – weil ich fürchtete, dass meine Geliebte, die wunderbare Skylla, im Netz der Fischer landen und dann in Öl gebraten Hermes vorgesetzt werden würde –, bemerkte ich, dass der Name, den die dicke Unternymphe unbedacht ausgesprochen hatte, von unbeschreiblicher Wirkung auf die Anwesenden war. »Ulysses!«, hatte die göttliche Köchin gesagt, und die Stimme meiner Mutter knallte auf wie die Peitsche in ihrer Hand. Die Nymphen kreischten auf, als sie diesen Namen hörten, und Ilythia schlug sich erschrocken die dickliche Hand vor den Mund, als wäre ihr erst jetzt bewusst geworden, was sie gerade gesagt hatte. Alle sahen mich an.
    »Schweig, du Dummkopf!«, zischte meine Mutter. Auch sie beobachtete mich. »Du redest Unsinn!« Und als sie sah, dass ich nicht neugierig geworden war – hinterhältig tat ich so, als wäre mir das Entsetzen gar nicht aufgefallen, das der fremde Name bei den Anwesenden ausgelöst hatte –, fuhr sie mit eiligen Worten fort.
    »Erfülle meine Befehle. Mischt Wein und Wasser zu gleichen Teilen, denn so ist es Brauch auf dem Olymp«, sagte sie zu einer anderen Nymphe. »Und wenn ihr ein wohlschmeckendes Meerestier besorgen könnt, gestatte ich, dass es dieses zur Vorspeise gibt. Wildschwein isst Hermes nicht«, sagte sie etwas besänftigt mit der sorgenden Stimme der guten Hausherrin, »weil er von den Opfern, die ihm die dankbaren Menschen am Morgen und Abend des Neumondtages bringen, schon einen stumpfen Gaumen hat … Aber ein gewöhnliches, frisch gebratenes Schweinekotelett mit Salat – natürlich aus dem Fleisch eines Hausschweins – wäre vielleicht nicht das Schlechteste als dritter Gang … Was meinst du, Telegonos?«, fragte meine strahlende Mutter schaurig freundlich und wandte sich an mich. »Welches Tier sollen wir morgen zu Ehren des erhabenen Gastes schlachten? Vielleicht eines von den neu angekommenen Mastschweinen«, sagte sie und biss sich in die Unterlippe. Verkniffen beobachtete sie unter den Wimpern hervor die Wirkung ihrer Worte. »Der junge Eber mit den dunklen Borsten, den ich kürzlich in der Herde grunzen gesehen habe, würde passen: nicht fett, aber auch nicht mager …«
    Die Nymphen lauschten mit angespannter Aufmerksamkeit. Mir lief es kalt über den Rücken. Es war offensichtlich, dass meine Mutter aus den beiden Verzauberten, Skylla und Glaukos, ein Abendessen für den göttlichen Gast bereiten lassen wollte. Ich achtete darauf, meine Erregung zu verbergen, doch mir zitterten die Lippen, und ich wusste, dass ich von diesen schändlichen Speisen keinen einzigen Bissen herunterbekommen würde. Als wollte sie die Aufgaben der Hausherrin zu Ende führen, wandte sich meine Mutter wieder an die Nymphen. Streng und belehrend sagte sie:
    »Der hehre Hermes ist ein Freund unseres Hauses.« Sie sprach von oben herab, aber ihre Stimme zitterte, und ich spürte in ihrer Rede eine heimliche Unsicherheit. »Er kommt wieder einmal mit einem Auftrag des erhabenen Zeus auf unsere

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