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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Schweinen aus der Zucht meiner Mutter: Die Rotte ließ die unbeholfenen Wesen hinter sich.
    Mit dem Hirtenstab in der Hand, mit dem ich die Tiere anzutreiben pflegte, lehnte ich mich an die Planken des Maststalles. Mein Herz klopfte wild wie Hephaistos’ Hammer. Ich hatte keinen Beweis … Aber eine Ahnung, stärker als alles andere, flüsterte mir ein, dass die neu hinzugekommenen Eber niemand anders sein konnten als Glaukos und sein Gefolge.
    Entsetzen, Angst und hilflose Wut wogten in meinem Herzen und Verstand. Ich begriff nicht, was geschehen war, und rannte zur Bucht. Die Barke mit dem silbernen Mast war schon aus der dunkelwässrigen, wogenreichen Bucht von Aiaia verschwunden. Die sechs Schweine drängten sich an mich und stießen mir mit klagendem, herzzerreißendem Grunzen ihre Ebernasen gegen die Beine, als wollten sie mir etwas mitteilen, das sie anders nicht mehr sagen konnten. Ich stand am Ufer der Bucht, inmitten der winselnden Schweine. Der Morgenwind riss und zerrte mit nervösen Fingern an meinen Haaren. Ich spähte in die Ferne, dann untersuchte ich die Schweine. Ein sonderbarer Morgen war das. Ich war kein Kind mehr … Und ich war nicht länger der unwissende, gehorsame Sohn meiner Mutter, der Nymphe. An diesem Morgen begann für mich ein neues Schicksal, ein Schicksal, das bis zum Überfluss voller dunkler, unergründlicher Geheimnisse steckte. Ein mitteldickes Schwein, dessen glänzendes, lockiges Fell mir irgendwie bekannt vorkamen, stellte sich auf die Hinterbeine wie ein Hund, wenn er freudig an seinem Herrchen hochspringt. Es stemmte die Vorderklauen gegen meine Knie, und seine glänzenden schwarzen Äuglein sahen mich blinzelnd und flehend an. Wie ein Blitz fuhr mir dieser schon tierische, aber zugleich noch menschliche Blick durch den Verstand.
    »Glaukos!«, rief ich entsetzt.
    Das Schwein grunzte auf, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Ich beugte mich nah zu ihm hinunter und griff mit einer Hand in die harten Kinnborsten des Tieres. So blickte ich dem winselnden, sich an mich schmiegenden Eber aus unmittelbarer Nähe in die Augen. Es lief mir kalt über den Rücken, denn was ich sah, war wirklich schrecklich. Das Schwein weinte.
    Es weinte hilflos; sein Weinen klang fast gar nicht wie das Grunzen eines Schweines, es winselte wie ein lebendes Wesen, das unter das bösartige und unterweltliche Gesetz der Verwandlung geraten ist. Seine Gefährten, die Mastschweine, standen im Halbkreis um uns herum, ihr klagendes Grunzen, ihr rhythmisches und weinerliches Quieken erfüllte die reine Stille der Bucht und des Ufers mit gespenstischen Lauten, als wollten sie ein verzerrtes, unterweltliches, trauriges Chorlied vortragen. Erschrocken und mit pochendem Herzen hörte ich dieses fürchterliche, tierische und zugleich schauderhaft bekannt klingende Lautgewirr. Diese Schweine erinnerten sich noch an etwas, und mit Hilfe suchendem Grunzen wimmerten sie jetzt ihr Entsetzen in die Welt. Ratlos stand ich in ihrer Mitte. In meinem Herzen tobten Angst und grausame Bitternis. In diesem Augenblick hörte ich wieder die Peitsche knallen. Die Herde stob erschrocken auseinander. Ich wandte mich um und erblickte auf einem Felsen der Bucht meine strahlende Mutter, die die Peitsche schwang. Das Meer spiegelte die Sonnenstrahlen wider, und das Haar meiner Mutter lohte in grünem Licht. Ihre Augen funkelten wie die Hufe der Zauberrosse von Großvater Helios, wenn sie auf ihren Himmelsreisen gegen Meteorgestein stoßen. An einem Arm hing ein aus Bast geflochtener Korb, so wie ihn die Fischer verwenden, um auf eine Lage Brennnesseln die frisch gefangenen Fische hineinzulegen. Er war leer. Noch nie hatte ich meine Mutter so erschreckend, so großartig, so bitter und so unbändig erhaben gesehen. Als wäre eine der Ahnenfrauen, die einst die Titanen gebaren, zum Leben erwacht.
    Füllig, mächtig und kerzengerade stand sie im Morgenwind, im funkelnden Licht. Mit der weißen Hand hob sie die Peitsche und zeigte auf die Neuankömmlinge, die der Herde hinterhertrotteten.
    »Sorge dafür«, rief sie, und der schneidende, salzige Ostwind ließ ihren Befehl über die Bucht wehen, »dass sie fleißig fressen und sich gut an ihre Gefährten gewöhnen!«
    Ich hielt die Hände vor den Mund, denn der schneidende Wind riss mir die Worte von den Lippen, und rief in bitterer Erregung:
    »Wo ist Skylla?«
    Meine Mutter sah mich von der Höhe des Felses triumphierend an:
    »Sie badet«, sagte sie, und ihre Stimme zischte wie

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