Die Frauen von Savannah
zog genügend Sommerkleider für sämtliche Debütantinnen von ganz Georgia heraus. Und dann waren da kurze Hosen, Bluejeans, Pullover, T-Shirts, Unterhosen mit Blümchen auf dem Taillenbund, und dann Trägerröcke, Schlafanzüge und ein paar glänzende Lacklederschuhe für festliche Anlässe. In der letzten Tüte war ein großer hellblauer Karton.
Tante Tootie faltete die Hände unter dem Kinn und war so aufgeregt, dass ich mir gar nicht vorstellen konnte, was da drin sein mochte. Ich hob den Deckel an, faltete das knisternde Seidenpapier auseinander und hob ein wunderschönes weißes Cocktailkleid heraus. Ich schaute es mir genauer an und bekam einen Kloß im Hals.
Oh nein. Oh Gott, bitte nicht.
Das Kleid war fast identisch mit dem Schönheitsköniginnenkleid meiner Mutter, nur kleiner.
»Ist das nicht wunderschön?«, schwärmte meine Tante mit strahlenden Augen. »Das hab ich bei Betsy’s Belles gesehen und musste es einfach für dich haben.«
Eine lang verdrängte Erinnerung kam wieder hoch.
Es war an einem lauen Frühlingstag, so ein Tag, an dem die Luft so frisch und sauber ist, dass es in der Nase kribbelt. Mrs Odell und ich hatten den kompletten Vormittag damit verbracht, ihren Garten umzugraben, um ihn fürs Anpflanzen vorzubereiten. Als wir die Geräte in den Schuppen zurückbrachten, lud sie mich ein, zum Lunch zu bleiben, es gab überbackene Käsesandwiches und Tomatensuppe. Aber meine Socken waren nass, meine Schuhe voller Schlamm, und ich hatte kalte Füße. Also sagte ich, ich würde schnell nach Hause flitzen, Schuhe und Strümpfe wechseln und gleich zurückkommen. Als ich nach Hause kam, hörte ich aus einem offenen Fenster das Radio plärren. Ich ließ meine Schuhe auf der Hintertreppe stehen und ging in die Küche. Mommas weißes Kleid hing über dem Bügelbrett. Wenn ich dieses Kleid sah, ging in meinem Kopf immer eine Sirene an – Momma hatte ein Problem.
Ich drehte das Radio aus und sah im Wohnzimmer nach. Momma stand auf einem Polsterhocker vor dem Wohnzimmerfenster, das Gesicht mit Hautcreme eingeschmiert, und sprach in einen hölzernen Kochlöffel wie in ein Mikrofon.
Bis auf die fusseligen gelben Pantoffeln war sie nackt. Diese Show kannte ich noch nicht, und die Verzweiflung kroch an meinem Rückgrat hinauf. Ich schoss ans Fenster und zog die Vorhänge vor. »Momma! Steig da runter!«, sagte ich, griff nach ihrer Hand und zog sie von dem Hocker. »Um Himmels willen, zieh dir was an!«
Ihre Augen glühten vor Wut. Sie warf den Löffel auf den Boden und kreischte: »Jetzt hast du es kaputt gemacht!«
»Was hab ich kaputt gemacht?«
Sie schob sich an mir vorbei, stürmte die Treppe hinauf uns knallte ihre Tür hinter sich zu.
Wenn sie so war, konnte ich ohnehin nichts tun. Ich wollte gerade zu Mrs Odell zurück, da dachte ich, oh nein. Was, wenn Momma sich an ihr Schlafzimmerfenster stellt und jemand sie sieht?
Ich rannte hinauf. Als ich an ihre Tür klopfte, merkte ich plötzlich, dass ich den Platz meines Vaters eingenommen hatte: Ich stand vor ihrer verschlossenen Tür, frustriert und hilflos und einfach müde. Der ganzen Sache müde.
Tante Tooties Stimme holte mich in die Realität zurück. »Liebes, stimmt etwas nicht?«
»Doch, doch«, sagte ich und setzte ein Lächeln auf. »Alles in Ordnung. Ich bin nur … ich freu mich so. Danke für die ganzen hübschen Sachen.« Ich wandte den Blick ab und hob einen Schuhkarton auf.
»Gerne. Es hat mir so einen Spaß gemacht, das alles auszusuchen. Ich weiß, ich hätte dich mitnehmen sollen, aber es sollte eine Überraschung sein.«
Wir hängten meine neuen Kleider in den Schrank, und meine Tante fragte: »Hast du Lust, heute Abend essen zu gehen und dann ins Kino?«
»Ja, Ma’am.«
»Ich liebe Kino«, sagte sie und strich den Kragen eines blassgelben Sommerkleids glatt, bevor sie es in den Schrank hängte. »Ist deine Mutter manchmal mit dir ins Kino gegangen?«
»Nein. Aber Mrs Odell ein paarmal.«
Sie wurde still und betrachtete mich. »Liebes«, sagte sie und hob mein Kinn an. »Ich will dir nicht zu nahe treten, aber ich glaube, wir sollten mal über deine Mutter reden.«
Ich schaute weg. »Nicht jetzt, bitte.«
Sie zögerte, dann legte sie mir die Hand auf die Schulter. »Gut. Aber bald.«
Nachdem sie die leeren Tüten aufgehoben hatte, ging sie zur Tür. »Ich geh mal in der Zeitung nachgucken, was für Filme laufen.«
Als sie weg war, ging ich auf die Knie und holte Mommas Album aus seinem Versteck unter der
Weitere Kostenlose Bücher