Die Frauen
aufstiegen wie der Gesang der Vögel im Aviarium des Lincoln Park Zoo. Ging man ihm aus dem Weg? War das nicht -?
* Nicht identifiziert; vielleicht einer seiner Bekannten aus früheren, glücklicheren Tagen in der Chicagoer Gesellschaft.
Doch. Olivia Westphal, die er einst in seinem ersten Wagen um den Oak Park herum spazierengefahren hatte (das spezialgefertigte Stoddard-Dayton Sportkabrio, das auf der Geraden 90 Stundenkilometer schaffte, ein Auto, von dem er noch heute in den Momenten kurz vor dem Aufwachen träumte, der »Gelbe Teufel«, vor dem sich die Leute auf den Gehweg retteten und der ihm den ersten Strafzettel wegen Geschwindigkeitsüberschreitung eingebracht hatte, der jemals auf diesen verschlafenen, von Pferdefuhrwerken befahrenen Straßen ausgestellt worden war, weil er auf einen Bauauftrag von ihr und ihrem neuen Ehemann hoffte (und schon damals war sie ihm in den Rücken gefallen, denn sie entschied sich, Patton und Fisher einen völlig überladenen Kasten für sie bauen zu lassen, so fade wie eine Portion Kellogg’s Cornflakes, die man über Nacht hat stehenlassen. Auf der Küchentheke. In einer Lache sauer gewordener Milch). Und was hatten die Jahre aus ihr gemacht - sie war jetzt eine richtige Matrone, hatte an Gesicht und Oberarmen Fett angesetzt, und ihre massige, gedrungene Figur ließ ihre einst so reizvollen Kurven kaum mehr ahnen. Sie schaute ihm direkt in die Augen - erkannte ihn, das sah er - und schaute wieder weg.
Wie er sich daraufhin fühlte? Kämpferisch. Wütend. Angewidert. Sollten sie ihn doch ignorieren, diese Tugendwächterinnen und die schüchternen kleinen Nager, mit denen sie verheiratet waren, zu ängstlich, um je aus dem Glied zu treten, zu leben, die große Geste zu wagen, irgendeine Geste ... doch jetzt hatte ihn sein Begleiter* am Arm gefasst und führte ihn zu einer Gruppe Männer mitten im Geschehen - war das Robert? Oscar? -, und er spürte, wie ihm die Brust schwoll, bis er kurz davor war, seinen Stock Pirouetten drehen zu lassen. Was er nicht bemerkte - und sein Begleiter ebensowenig -, war die große, dunkelhaarige junge Frau mit dem ernsten Gesicht, die zur Tür hereinschlüpfte, in der einen behandschuhten Hand die Eintrittskarte, in der anderen ihre Abendtasche. Sie hingegen bemerkte ihn, als sie von einer Ecke des Foyers aus den Blick über die Menge schweifen ließ - durchaus gewillt, gesehen zu werden, doch zugleich auf Anonymität bedacht, ohne Begleitung auf einer Matinee, von ihrem Mann getrennt und ungebunden, eine Anhängerin des Tanzes und dessen, was die Karsavina einst verkörpert hatte, eine alleinstehende Frau, die an einem regnerischen Nachmittag ausging. Olgivanna sah dieselben Hüte, Schultern, Pelze und geschwätzigen Münder, die auch er gesehen hatte, ein Kotillon, eine Hackordnung, die Gesellschaft in all ihren Facetten, und dann war plötzlich er da, und ihre Augen hefteten sich auf ihn.
* Nennen wir ihn der Einfachheit halber Albert Bleutick - ein Mann von mittlerer Größe, mittlerer Haarfarbe, mittlerem Bauchumfang und einer weder dominanten noch introvertierten Persönlichkeit, ein Begleiter aus dem zweiten Glied, der verlässlich die Rechnung für das Mittagessen übernahm und Karten für Ballett, Sinfonieorchester und Museum besorgte. Sein Schicksal war das aller Nebenfiguren im Leben eines bedeutenden Menschen: eine Funktion zu erfüllen und dann abzutreten, so farblos wie der Regen, der auf die tristen grauen Straßen fiel, an einem Tag, der sich ebensogut hätte selbst wegspülen können.
Das erste, was sie spürte, war die prickelnde Erregung, die sich einstellt, wenn man in der Öffentlichkeit ein berühmtes Gesicht entdeckt, ein Erbeben des ganzes Nervensystems, begleitet von einer gewissen Genugtuung, als hätte sie infolge eines Geistesblitzes die Lösung eines Rätsels gefunden. Sodann überkam sie das Gefühl, unbedingt mit ihm reden zu müssen - ein so unwiderstehlicher Drang, dass sie fast durch die Menge zu ihm gestürmt wäre, obwohl sie hier doch eine Fremde war, ohne Begleitung und niemandem vorgestellt, doch sie unterdrückte den Impuls aus Scheu und einem Schwindelgefühl, das an Panik grenzte: Was sollte sie zu ihm sagen? Wie sollte sie das Eis brechen? Ihn auch nur dazu bringen, sie anzusehen? Und schließlich meldete sich, stärker als die beiden anderen Wahrnehmungen, der in hormonelle Aufwallung gewandete Gedanke, dass er sie auf einer sehr tiefgehenden, unergründlichen Ebene erkennen
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