Die Frauen
und holte die Brote aus dem Ofen.
Zweiter Teil
MIRIAM
EINFÜHRUNG ZUM ZWEITEN TEIL
Im zweiten Jahr der Fellowship von Taliesin stieg das Schulgeld von 675 auf 1100 Dollar - eine Erhöhung um 63 Prozent -, und ich bat meinen Vater um zusätzliche Mittel, die er mir auch gewährte. Ich war mit der Fellowship, Taliesin und Wrieto-San mittlerweile so eng verbunden, dass ich mir nicht vorstellen konnte, anders zu leben - wäre mein Vater mir nicht entgegengekommen, hätte ich, glaube ich, eine Bank überfallen, um bleiben zu können. Ja. Wirklich. Es ist schwer zu erklären, aber der Mensch - insbesondere der junge Mensch, und damals war ich jung, jung und unfertig - hat nun einmal das dringende Bedürfnis, eine Nische zu finden, an eine Vision zu glauben, Teil von etwas zu sein, das größer ist als er selbst, in Zeiten des Wohlstands wie der Beschränkung. Bei mir war das nicht anders. Ich lebte und atmete Taliesin. Die Sonne ging nur deshalb im Osten auf, stand nur deshalb am Himmel, um diese goldenen Mauern zu beleuchten. Winter, Frühling, Sommer, die Monate überstürzten sich, als würden sie von einem kräftigen Wind durcheinandergewirbelt, wie in einer dieser Filmsequenzen, bei denen Kalenderblätter in rasender Geschwindigkeit fallen. War es wirklich schon wieder Oktober? Ich konnte es nicht fassen. Keiner konnte es fassen.
Ich war schon zu Beginn schlank gewesen, doch im Laufe jenes ersten Jahres nahm ich weitere vier Kilo ab. Durch die Schufterei verlor ich die Schlaffheit meiner Studententage, und mein Körper wurde muskulös und sehnig. Meine Finger waren voller kleiner Schnitte und Narben, mein Daumennagel von einem fehlgegangenen Hammerschlag geschwärzt. Ich wurde so braun, dass meine Haut glänzte wie die eines Indianers, und mit den Zitzen einer Kuh und dem Gegrunze und Gestank aus der Schweinesuhle war ich so vertraut, als wäre ich mit einem Grashalm zwischen den Vorderzähnen und Grassamen im Haar zur Welt gekommen. Nägel einschlagen, Bretter sägen, Holz spalten oder eine Wand verputzen konnte ich so gut wie jeder andere Mann im glorreichen Staate Wisconsin. Und das alles dank Wrieto-Sans pragmatischem Ansatz und seiner anhaltenden Mittellosigkeit, die ihn zwang, seine Schüler arbeiten zu lassen, damit er über die Runden kam. War es Sklavenarbeit, wie manch einer behauptet hat? Vielleicht. Aber es herrschte ein Geist der Kameradschaft, des »Alle für einen und einer für alle«, der unsere Arbeit in höhere Sphären erhob, außer Reichweite all der Kritteler und Kritikaster mit ihren verkümmernden Seelen und ihrer beschränkten Vorstellungskraft. Wir waren die Gefolgsleute, Wrieto-San war der Meister. Wir lebten, um ihm zu dienen.
Mein Vater schrieb mir einen sechsseitigen Brief, in dem er all seine Einwände gegen Wrieto-Sans Regime vorbrachte - die sich letztlich in einer einzigen rhetorischen Frage zusammenfassen ließen: Was ritt mich eigentlich, dass ich wie ein Bauer im hanfenen kosode und mit scheißeverkrusteten geta Kühe molk und Heu gabelte, statt zu Hause in Japan Gebäude zu entwerfen? Er schloss mit einem Sprichwort: Kappa mo kawa nagare (Selbst ein kappa - ein Wassergeist - kann vom Fluss davongetragen werden; soll heißen, jeder kann mal einen Fehler machen). Bei allem Respekt vor seiner väterlichen Weisheit - von dem beigelegten Scheck einmal ganz abgesehen -, konterte ich mit dem Spruch Sumeba kiyako (sinngemäß: Den Ort, an dem man lebt, lernt man lieben). Und tatsächlich liebte ich Taliesin mehr, als ich je etwas geliebt hatte, wobei ich einräumen muss, dass ich gern etwas mehr Zeit im Zeichenraum und weit weniger Zeit mit harter Arbeit verbracht hätte.
Zunächst hatte Wrieto-San Zimmerer, Steinmetzen und Farmarbeiter aus den umliegenden Dörfern zu zwei Dollar pro Tag plus Verpflegung angestellt, um die Arbeit an der Hillside School, die zu einer Unterkunft für die Schüler umgebaut wurde, sowie an einem Theater und einem neuen, abseits vom Haus gelegenen Studiovoranzutreiben, doch in diesem, dem vierten Jahr der Weltwirtschaftskrise hatte er sie gehen lassen müssen, denn er stand wieder mal kurz vor dem Bankrott. Das einzige konkrete Projekt, das wir auf den Zeichenbrettern hatten, war das Willey House, so dass es für uns, wenn wir nicht auf den Feldern arbeiteten oder in der Hillside School am Hämmern waren, im Zeichenraum wenig anderes zu tun gab, als zur Übung und Fortbildung Wrieto-Sans alte Entwürfe zu kopieren.
Üblicherweise begann unser Tag um
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