Die Frauen
unbändigen Energie mit - Frank, Frank Lloyd Wright, ihr Genius -, er beugte sich herunter, um ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange zu geben, obwohl sie einen Rußfleck am Ansatz ihrer Nase hatte und einen auf dem Kinn, so dass sie aussah, als wüchse ihr ein Bart, und dabei redete er bereits, redete, konnte es gar nicht abwarten, ihr in aller Ausführlichkeit von der Fahrt und von den Leuten bei dem Vortrag in Chicago zu erzählen, und dass er sich sicher sei, hundertprozentig sicher, einen Auftrag für ein neues Gebäude in der Stadt ergattert zu haben, außerdem habe er von Darwin Martin und von seinem Cousin Richard gehört, beide stünden voll hinter den Entwürfen, die er ihnen geschickt habe, und das Geld dafür werde bald kommen, bald, ganz bald. Er war mit Päckchen beladen. Ein Geschenk für sie, Geschenke für die Mädchen und eins für sich selbst, eine Statue, der er nicht hatte widerstehen können, für die Blaue Loggia. »Und dann noch das hier«, sagte er und reichte ihr rasch etwas, denn gerade kamen die beiden Mädchen, die das Auto gehört hatten, ins Zimmer gerannt und hüpften, seinen Namen rufend, um ihn herum - was war das, eine Zeitung? »Da ist was für dich drin«, sagte er, und schon war er fort, die herumwirbelnden Mädchen auf den Fersen.
Sie ließ sich Zeit, legte die in Geschenkpapier eingeschlagene Schachtel und die Zeitung erst einmal beiseite, bis die anstehenden Arbeiten erledigt waren - das Brotbacken musste mit Mrs. Taggertz’ Tätigkeiten abgestimmt werden, und sie musste Herbert auftragen, heute abend den Tisch für elf, nein, zwölf zu decken. Vor den Fenstern wurde es dunkel.
Aus dem Topf mit Kartoffeln, der auf dem Herd stand, stieg Dampf auf. Sie roch das Huhn, das im Ofen Farbe annahm, während sie die Teigstränge zu Brotlaiben flocht und das Blech in den Ofen schob. Dann setzte sie sich an den Küchentisch, um das Geschenk auszupacken - es war ein Schmuckstück, sehr schlicht, ein Opalanhänger an einer Goldkette. Sie hängte sich die Kette um und spürte den Grus aus dem Kamin an ihrem Hals - nach dem Essen würde sie ein Bad nehmen müssen, was bedeutete, dass der Kessel im Keller wieder geheizt werden musste und sie noch mehr Brennholz verbrauchen würden. Schließlich griff sie nach der Zeitung, in der sie einen weiteren Artikel über Frank vermutete, die Besprechung eines seiner Vorträge oder die Meldung, dass ihm wieder irgendeine Ehrung zuteil geworden war. Er hatte die Zeitung an der entsprechenden Stelle aufgeschlagen und den Artikel mit einem Sternchen markiert. Sie zog die Kerze näher heran.
Es war nicht, was sie gedacht hatte. Was sie da las - und es war solch ein Schock, dass sie nach Luft schnappte -, war ein Nachruf. Zwei Tage zuvor war Maude Miriam Noel in Milwaukee verstorben, nachdem sie im Anschluss an eine Darmoperation ins Koma gefallen war. Sie war einundsechzig geworden. Als sie, so war in der Zeitung zu lesen, vor fünfzehn Jahren zum erstenmal auf den Titelseiten der amerikanischen Zeitungen erschien, war sie eine strahlende Schönheit mit rotbraunem Haar und haselnussbraunen Augen, eine talentierte Bildhauerin, die sich mehrerer in Pariser Künstlerkreisen erworbener Auszeichnungen rühmte. Und jetzt? Jetzt war sie tot. Ihr Nachlass, der aus ihrer persönlichen Habe sowie einem Urteil auf Zahlung von 7000 Dollar durch ihren geschiedenen Ehemann Frank Lloyd Wright bestand, ging an eine Jugendfreundin, Mrs. Leora Caruthers aus Santa Monica, Kalifornien. Miriams drei Kinder, mit denen sie sich überworfen hatte, erbten jeweils einen Dollar. Die Trauerfeier sollte in Milwaukee abgehalten werden.
Eine ganze Weile starrte Olgivanna auf die vor ihr liegende Zeitung, strich sie immer wieder glatt, während die Kerze tropfte und Mrs. Taggertz am Rand ihres Blickfelds hantierte und irgend etwas über dem Herd umräumte. Sie stellte fest, dass sie nichts empfand. Oder fast nichts. Erleichterung, das schon, aber weder Triumph noch Bedauern oder Mitleid. Eine gewisse Fremdheit, mehr nicht, so als wäre die Welt einen Augenblick lang verschwunden und dann in aller Unmittelbarkeit wieder auf sie eingestürmt. Sie wollte gerade aufstehen und nach dem Brot schauen - sie roch es plötzlich, der heiße Duft breitete sich in Wellen inder Küche aus, bis er alles andere überdeckte, selbst den Geruch des Huhns -, da gingen plötzlich mit einem Flackern die Lampen wieder an. Ohne nachzudenken, beugte sie sich vor und blies die Kerze aus, dann stand sie auf
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